Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
die Weissagung des Psalmisten: ›Und bei den Reinen bist du rein und bei den Verkehrten verkehrt.‹«
Die Ermahnung des Vaters, »daß er von seinem schlechten Wege abkehre«, schlug Lothar zunächst in den Wind, vermied aber eine Auseinandersetzung mit dem gegen Blois angeblich »zur Befreiung des Volkes« (Annales Bertiniani) anrückenden Heer der Brüder und Ludwigs, warf sich diesem dann freilich samt seinen prominentesten Gefolgsleuten zu Füßen, um ihm Treue und Gehorsam zu schwören, auch zu versprechen, Italien nie mehr ohne väterlichen Befehl zu verlassen.
Lothars Anhang stand es frei mit zu ziehen, und die meisten, auch namhaftesten, schlössen sich an, die Grafen Hugo, Lambert, Matfrid, Gottfrid u.a., die wohl all ihre fränkischen Güter, Lehen und Würden verloren. Lothar entschädigte sie jedoch, indem er ihnen, ungeachtet aller älteren, jüngeren, jüngsten Schwüre, in Italien gelegene Besitzungen fränkischer Stifter gab, ganze Klöster, San Salvatore in Brescia etwa, die berühmte Abtei Bobbio, eine Stiftung des hl. Columban (IV 193), sogar päpstliche Güter – maximeque ecclesiam sancti Petri, und dies noch auf grausamste Weise, crudelissima (Astronomus).
Auch einige Prälaten – die Erzbischöfe Agobard von Lyon, Bernhard von Vienne, Bartholomäus von Narbonne, die Bischöfe Jesse von Amiens, Elias von Troyas, Herebald von Auxerre sowie Abt Wala von Corbie – verließen vorsichtshalber, gegen jede kanonische Vorschrift, ihre Bistümer. Und fast alle folgten Lothar, hinter dem man die Alpenpässe sperrte, in den Süden, um einst nach Ludwigs Tod mit dem künftigen Kaiser zurückzukommen. Viele von ihnen aber wurden das Opfer einer 837 grassierenden Pest. 70
Die »Causa Ebonis«
Inzwischen hatte man im November 834 auf dem Reichstag in Attigny wieder einmal die schlimmen allgemeinen Verhältnisse beschworen und wieder einmal Abhilfe versprochen. Doch alles, was wirklich geschah, war der Auftrag des Kaisers, die in Aquitanien entfremdeten Kirchengüter schleunigst zurückzugeben. Das Elend des Volkes blieb unverändert.
Auf der am 2. Februar 835 in die Pfalz Diedenhofen einberufenen Reichsversammlung, die vor allem eine Kirchenversammlung war, verlangte Ludwig die Nichtigkeitserklärung seiner Absetzung und Kirchenbuße, wie man sie in St-Denis ja bereits vollzogen, noch einmal ausführlich und in würdevoller Weise zu wiederholen. Und natürlich waren jetzt auch die ehrwürdigen Oberhirten dafür; natürlich erklärte »eine große Versammlung fast aller Bischöfe und Äbte« aus dem »ganzen Reich« die Entscheidung von Compiègne – ihre eigene – als »unverdient«, die Machenschaften der kaiserlichen Gegner, »die Treulosigkeit von Böswilligen und Gottesfeindlichen«, für vereitelt durch ein neues »Urteil Gottes«. Und »schließlich befanden und bekräftigten alle ohne Ausnahme und einmütig, daß, nachdem durch Gottes Hilfe die Umtriebe jener zu Schanden geworden und der Kaiser in die väterlichen Ehren wieder eingesetzt und zu Recht mit der königlichen Würde wieder bekleidet sei, er fortan von allen in treuestem und unbedingtestem Gehorsam und Untertänigkeit als ihr Kaiser und Herr zu achten sei« (Annales Bertiniani).
So nahmen denn diese allzeit widerlichsten Opportunisten am Jahrestag seiner Befreiung in feierlichster Form in der Reichsversammlung am 28. Februar 835 im Dom zu Metz noch einmal die Rekonziliation des Herrschers vor. Umringt von 44 Bischöfen, setzte ihm hier Halbbruder Drogo die Krone wieder auf. Mit dem Wortlaut der »Annales Bertiniani« (das heißt der westfränkischen Fortsetzung der 829 abbrechenden Reichsannalen), unserer wichtigsten, von Karl dem Kahlen bis zur Zeit Karlmanns und Ludwigs III. (882) reichenden Quelle: »und nachdem die heil. Messe gelesen und darauf der ganze Hergang der Sache dem anwesenden Volke mitgeteilt worden war, nahmen die heiligen und verehrungswürdigen Priester eine Krone, das Sinnbild der Herrschaft, von dem geweihten Altar und setzten sie ihm unter dem größten Jubel aller Anwesenden eigenhändig auf« – »denn mit den Realitäten hatte sich auch der Wille Gottes« gewandelt (Bund).
Der Oberhirte aber, der 833 an erster Stelle das schimpfliche Schauspiel der Kaiserentmachtung inszeniert hatte, der »Bannerträger« bisher der kaiserfeindlichen Partei, Erzbischof Ebo von Reims, »der schändliche Bauer Ebo« (turpissimus rusticus), so seinerzeit Chorbischof Thegan, jedoch auch »der Apostel des Nordens«, hatte
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