Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
ganz übergangen, enterbt. 61
Seinerzeit ergriff Hrabanus Maurus, der Abt von Fulda, ein Verfechter der Reichseinheit, für Ludwig den Frommen Partei und schrieb in einem für diesen verfaßten Traktat, es sei »völlig unzulässig, daß Söhne gegen den Vater und Untertanen gegen ihren Herrscher rebellieren«. Hraban zeigte die Ungerechtigkeit des Komplotts wider Ludwig auf. Weder sei Lothar berechtigt, den Vater zu entthronen, noch der Episkopat befugt, ihn zu verdammen, zu exkommunizieren. (Nach 840 ergriff der »Praeceptor Germaniae« für Lothar, einige Jahre später für Ludwig den Deutschen Partei, worauf er 847 Erzbischof von Mainz werden konnte.) 62
Dagegen stützte sich, angeführt von Agobard von Lyon, Ebo von Reims, Jesse von Amiens, zumindest ein Teil des hohen Klerus auf die bereits 829 beschlossenen Leitsätze: »Ein Herrscher, der seine Amtspflichten verletzt hat, ist nicht mehr König, sondern Tyrann und darf abgesetzt werden. Wer die Abmachungen von 817 gebrochen hat und durch das ›Gottesurteil‹ des Zusammentreffens im Elsaß seiner Macht beraubt wurde, der müsse seine Schuld öffentlich bekennen und Kirchenbuße tun.« 63
Viel schlimmer als Canossa – und alles »nach dem Urteil der Priester«
Als am 1. Oktober 833 in Compiègne unter Lothars Vorsitz eine allgemeine Reichsversammlung zu dieser christlichen Tragödie zusammentrat, forderte der einst von Ludwig besonders begünstigte, ihm viel verdankende Erzbischof Agobard in einer eigenen Schrift Kirchenbuße für den abgesetzten, den »gewesenen Kaiser« (domnus dudum imperator) und öffentlichen Sünder. Nicht nur diesmal freilich hatte er gegen den Herrscher gehetzt, hatte er seine Gattin Judith vom Teufel besessen und jeder Untat fähig, seinen Hof vom »Schmutz der Verbrechen« verseucht erklärt und vorbehaltlos, geradezu leidenschaftlich die Rebellion der Söhne gerechtfertigt.
War Agobard doch, wie die meisten seiner Zunft, überhaupt ein großer Hasser, auch der Heiden, »Ketzer«, nicht zuletzt der Juden. Fünf rabiate Bücher schmetterte er gegen sie, darin bereits der berüchtigte Nazislogan »Kauft bei keinem Juden«! So konnte man das hochgeschätzte Kirchenlicht (freilich schon in vornazistischer Zeit) »den brutalsten Judenfeinden aller Zeiten« an die Seite stellen, konnte Jesuit Rahner 1934 Agobard – nebst anderen kirchenväterlichen Judenfeinden – prompt für die katholische Kirche ausspielen. Kaiser Ludwig dagegen hatte den Juden zahlreiche Schutzbriefe gewährt. 64
Wie aber deuteten die in Compiègne versammelten Oberhirten, die mit allen Großen Lothar ein Treueversprechen leisteten, Ludwigs Niederlage? Selbstverständlich als Folge seines Ungehorsams gegenüber den Ermahnungen der Priester. Gott und den Menschen habe er viel Mißfälliges getan und seine Untertanen an den Rand des Verderbens gebracht. Ergo erklärte man ihn zum »Tyrannen«, seinen siegreichen Sohn und Nachfolger aber zum »Freund des Herrn Christus«. Sie, die »Stellvertreter Christi«, die »Schlüsselträger des Himmelreiches«, fordern von dem alten Fürsten ein umfassendes Sündengeständnis, fordern ihn zur Weltentsagung auf und präsentieren ihm ein Schriftstück über seine Vergehen, damit er »wie in einem Spiegel die Häßlichkeit seiner Handlungen schauen könne«.
Wilfried Hartmann bemerkt dazu in einer der neuesten Konziliengeschichten: »Diese Vorgänge waren nur möglich, weil der fränkische Episkopat bereits 829 in Paris Leitsätze formuliert hatte, die eine Art Kontrolle des weltlichen Herrschers durch die Bischöfe vorsahen.« So verkündete Kanon 55: »Wenn einer fromm und gerecht und barmherzig regiert, wird er nach Verdienst König genannt; die aber, die gottlos, ungerecht und grausam regieren, heißen nicht Könige, sondern Tyrannen«. Wie freilich ein König zu heißen hat, gerecht oder gottlos, das bestimmen die Prälaten.
Und wie glücklich waren sie unter Ludwigs Vater und schon lange vordem!
Allen riefen sie ins Gedächtnis, »wie dieses Reich durch die Verwaltung des vortrefflichsten Kaisers Karl seligen Andenkens und durch die Arbeit seiner Vorfahren befriedet und geeinigt und rühmlich erweitert wurde ...«! Tatsächlich hatten Merowinger und Karolinger, hatte nicht zuletzt auch der »vortrefflichste« Karl einen Krieg nach dem andern geführt, waren diese Fürsten der Franken
nichts so sehr wie Räuber und Schlächter
gewesen, Ausbeuter, Versklaver, in zwei Worten: christliche Abendländer, wofür sie ja
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