Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Lothar nicht nach Italien begleitet, sondern sich in Paris verborgen. Dort freilich war er im Frühjahr 834 von seinen Mitbrüdern, dem Ortsbischof Erchenrad und dem Bischof Rothad von Soissons, verhaftet und dann in Fulda gefangen gesetzt worden. Und nun besteigt Ebo, nicht freiwillig allerdings, sofort nach der offiziellen kirchlichen Restitution des Monarchen in der Metzer Stefansbasilika die Kanzel, verdammt »freimütig vor allem Volk« Ludwigs Ablösung, die gegen jedes Recht gewesen, »dem Gesetz und allen Geboten der Gerechtigkeit zuwider«, und feiert seine nach Gebühr und Würden erfolgte Wiedereinsetzung.
Zwar wagten die Bischöfe zunächst nicht, Ebo in die Wüste zu schicken, fürchteten sie doch, »er könne gegen sie zum Verräter werden«. Dann aber wurde er – wie einige der nach Italien entwichenen Prälaten – von den 44 versammelten Seelenhirten auf Antrag des Kaisers einstimmig abgesetzt. Selbst die Kaiserin soll mit allem Nachdruck, doch vergeblich zugunsten Ebos bei den Bischöfen interveniert haben. Einer nach dem anderen sprach die Formel: »Nach Deinem Bekenntnis gib Dein Amt auf!«
Dabei ist es ein Genuß besonderer Art zu verfolgen, wie Ebo nun, nachdem die »Laien« kraft bischöflichen Protestes ausgeschlossen worden waren, völlig richtig sich damit verteidigte, daß er allein zur Rechenschaft gezogen werde, alle anderen an den Vorgängen von 833 beteiligten Bischöfe aber unbehelligt blieben. Diese redeten sich durch die »Zwangslage«, in der sie sich befunden, heraus; sie hätten den traurigen Akt »im Herzen keineswegs gebilligt«. Doch nach außen waren sie mannhaft dafür eingetreten, sogar, wie auch jetzt, in einem doppelten Protokoll, in einer eigenhändig unterzeichneten Erklärung jedes einzelnen Bischofs und in einem ebenfalls unterschriebenen Dokument der Gesamtheit.
Ja, jetzt waren sie froh, einen Sündenbock zu haben, einen zwar einst von ihnen selbst Beauftragten, durch dessen nunmehrige Verdammung sie aber ein Exempel statuieren und die eigene schäbige Rolle vertuschen konnten – eine Rolle, die sie doch nur wenige Jahre später weiterspielten! Eine Rolle, in der Ungezählte der Ihren durch die Zeiten brillierten und brillieren. Der Schuft fand keinen einzigen Verteidiger unter all den Schuften in Christo.
Aber sieben Erzbischöfe sangen lauthals während der Messe ... 71
Die »Causa Ebonis« wurde von den sogenannten Ebo-Klerikern, darunter auch Bischöfe, noch viele Jahre in westfränkischen Synodalprozessen stets von neuem aufgegriffen und beschönigt. Ebo selbst kam wieder nach Fulda in Haft, dann in strengeren Gewahrsam zu dem Bischof Frechulf von Lisieux, endlich zu dem Abt Boso von Fleury. Er fiel später auch bei seinem Beschützer Lothar I., der ihn nur wenige Wochen nach Ludwigs Tod als Erzbischof von Reims restituierte, in Ungnade, ergatterte aber durch Ludwig den Deutschen 845 die vakante Diözese Hildesheim, wobei er den unkanonischen Übergang in ein anderes Bistum auch noch durch ein gefälschtes Schreiben Papst Gregors IV. zu rechtfertigen suchte. Hatte er doch überhaupt im Kampf um seine Wiedereinsetzung »zahlreiche Fälschungen angefertigt oder anfertigen lassen« (W. Hartmann). 72
Der feierliche Krönungsakt in Metz beendete weder den Verwandtenzwist der Karolinger noch die Begehrlichkeit des hohen Klerus, sein Verlangen nach stets größerer Macht.
Auf einer Aachener Synode im Februar 836 betonte der Episkopat, nach Wiederholung früherer Reformvorschläge, einmal mehr den Vorrang der priesterlichen Gewalt vor der königlichen. Schon die Vorrede führt Gelasius' I. (492–496) berüchtigte Zwei-Gewalten-Lehre an, die den Staat zum Büttel der Päpste macht (II 324 ff., bes. 329 ff.); in karolingischen Synoden erstmals 829 im Kanon 3 von Paris rezipiert. Im übrigen demonstrierten die Bischöfe in Aachen – wo sie sich selbst zu »Nüchternheit« ermahnen, Vermeidung von »Begehrlichkeit«, wo sie die Nonnenklöster »zum Teil zu Bordellen verkommen« sehen, zu Stätten, »in denen das Verbrechen blüht« – natürlich ihre Kaisertreue. Und obwohl doch gerade sie »offenbar gar viel und vielfach gefehlt haben«, sind selbstredend »hauptsächlich« nur die anderen schuld, besonders »der schmähliche Abfall« der Kaisersöhne sowie »die Verkehrtheit und Treulosigkeit einiger Großer«. Und alles kann selbstverständlich nur dann gut enden, wenn »die Ehre der heiligen Kirche Gottes vollständig wieder hergestellt wird und die Bischöfe
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