Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
üblich wochenlang auf hoher See, hatten seinerzeit Proviant benötigt, das Klostervieh geschlachtet und an Bord ihrer Drachenschiffe gebracht, auch alle Schätze geraubt und Mönche niedergeschlagen.
Die Nordleute suchten Irland heim, über das 820 die Katastrophe kam. »Das Meer spie Fluten von Fremden über Erin aus, und es gab keinen Hafen, keinen Landeplatz, keine Befestigung, keine Burg, keine Wehr ohne Flotten von Wikingern und Seeräubern«, melden die Ulsterannalen. Die Nordleute überfielen England und dann, immer mehr, auch von England aus, das Frankenreich, besonders Westfranken mit seinen verlockend langen Küsten, doch seit 799 auch das friesische Gebiet. Sie schnappten sich die Wertsachen, schleppten Geiseln zur Erpressung von Lösegeld fort, plünderten aber nicht nur die Küstenorte. Sie fuhren mit ihren wendigen Seglern die Flüsse hinauf und brandschatzten selbst Städte wie York, Canterbury, Chartres, Nantes, Paris, Tours, Bordeaux, Hamburg, wo sie den Bischofssitz einäscherten. Gerne stürzten sie sich auf Klöster, auf Jumièges etwa, Saint-Wandrille. An der Atlantikküste mußten die Mönche das seit 820 heimgesuchte Noirmoutier 836 preisgeben.
Es ist kaum von ungefähr, daß die Normannenattacken gerade während der heftigsten karolingischen Familienfehden, als die Schlagkraft des Reiches nach außen geschwächt war, also Mitte der 830er Jahre, sich erschreckend zu häufen begannen; daß die nordischen Piraten, damals die furchtbarsten Feinde, vor allem Dänen, Jahr für Jahr wiederkamen. Ein durch das ganze Jahrhundert andauernder Normannensturm brach seitdem über die christliche Welt herein.
834 und 835 überfielen dänische Wikinger den reichsten Handelsplatz im Norden, »das hochberühmte Wyk bei Durstede und verwüsteten es mit ungeheuerer Grausamkeit«. Von »den Heiden«, Menschen, die noch mit Inbrunst an ihren alten Göttern, den Asen, hingen, wird dabei »eine nicht geringe Menge erschlagen« (Annales Xantenses). Gleichwohl, Dorestad (Dorestate, Duristate), der bedeutende, wüst gewordene Handelsplatz in den Niederlanden, südlich von Utrecht (nahe der Rheinmündung und dem heutigen Wijk-bij-Duurstede), auch ein wichtiges kirchlich-missionarisches Zentrum und der zeitweilige oder dauernde Sitz des Bischofs von Utrecht, wurde zwischen 834 und 837 viermal ausgeraubt und zum Teil eingeäschert.
836 werden Antwerpen verbrannt und die Hafenstadt Witla an der Mündung der Maas. 837 attackierten die Normannen unvermutet die Insel Walcheren, »töteten viele und plünderten eine noch größere Anzahl der Bewohner völlig aus; nachdem sie dort einige Zeit gehaust und nach Belieben von den Einwohnern Tribut erhoben hatten, zogen sie auf ihrem Raubzug weiter nach Dorestad und trieben hier in gleicher Weise Tribute ein« (Annales Bertiniani). 838 verhinderte ein Seesturm einen neuen Angriff, doch schon 839 verheerten sie Friesland abermals. Auch suchten sie die Loiregegenden bis hinauf nach Nantes heim – eine »Gottesgeißel«, über die die Mönchsschreiber – vielleicht auch übertreibend – ein Vierteljahrtausend klagten: »Piraten, Mörder, Räuber, Schänder, Plünderer, Barbaren, Wüteriche, Teufel – eben Heiden ...« 79
Ach, wieviel besser waren doch die Christen auf ihren Kriegszügen!
Warum aber wüteten auch die Wikinger so? Wielant Hopfner schreibt: »Sie hatten ihre ersten Erfahrungen mit dem Christentum gemacht. Ihr Zeitgenosse Karl der ›Große‹ hatte die ›Sachsengesetze‹ zur Zwangsbekehrung der Sachsen erlassen. Die häufigsten Redewendungen darinnen lauten: ›Wird mit dem Tode bestraft ..., soll getötet werden ..., ist bei Todesstrafe verboten ..., verfällt dem Eigentum der Kirche ..., soll hingerichtet werden.‹« Tatsächlich bedrohten Karls Blutgesetze, ein Seitenarm sozusagen der Frohen Botschaft, alles was man bei den Sachsen ausrotten wollte, mit einem stereotypen »morte moriatur«, betrafen von seinen vierzehn den Tod verhängenden Bestimmungen der Capitulatio zehn allein Vergehen gegen das Christentum (IV 478 ff.).
Selbstverständlich wußten die Normannen, daß die Karolinger »die Kirche über jedes Maß hinaus bereichert hatten«, wobei »in erster Linie« diese Schätze aus den beraubten »heidnischen Verehrungsstätten« stammten. »Die christlichen Chronisten verraten ja, daß Klöster und Kirchen ›herrlich erbaut‹ oder ›wunderbar eingerichtet‹ waren. Woher sollte denn der Reichtum kommen, wenn nicht vom Eigentum und der Fronarbeit
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