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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
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viele, die bekanntermaßen Freie sind, von den Großen gewaltsam unterdrückt werden«; kennt auch Ludwig der Fromme »eine unzählige Menge von Unterdrückten, denen das väterliche Erbe entzogen oder die Freiheit geraubt war«. Doch beide Male handelt es sich um Freie, die ihre Freiheit verloren hatten, nicht um Unfreie, die, wie die meisten, schon immer unfrei waren. Ist darum im Frühmittelalter vom »Volk« die Rede, hat man sich in aller Regel keine anonymen Haufen mehr oder weniger Unfreier, Unadliger vorzustellen. Nein, die existierten, die gab es sozusagen gar nicht für die Herrschenden. »Gewöhnlich«, betont Karl J. Leyser, »bestand
populus,
das Volk, das Rechtsstreitigkeiten führte, Bischöfe wählte, Könige erhob oder von ihnen abfiel, aus Adligen und ihrer Gefolgschaft, kleinen Hierarchien, in denen wiederum die Vornehmeren und die von besserer Herkunft den ersten Rang einnahmen.«
    An die untersten Klassen zu denken, hatten die Könige kaum Zeit. Dafür dachten sie an ihre Helfer und Helfershelfer um so mehr, besonders an den hohen Adel, der nicht der Ehre, der des Lohnes wegen zu ihnen stand, der mit Königsgütern, Königslehen abgefunden werden wollte, zumal er selber wieder seine Gefolgschaft zu versorgen hatte. So herrschte auf allen Seiten ein fortgesetztes Konkurrieren und Rivalisieren, das auf nichts mehr Rücksicht nahm als auf das eigene Interesse, den eigenen Landhunger. Grund und Boden aber waren seit den riesigen Raubzügen des »großen« Karl knapp geworden. 6

Stets wechselnde Fronten oder Treueide, wohlfeil »wie Brombeeren«

    Lothar erbte als einziger die Kaiserwürde, freilich mit der Auflage, das Erbrecht der Brüder zu sichern. Doch forderte Lothar, der aus Italien heranrückte, wo er seinen Sohn Ludwig II. zurückließ, das ganze Reich, »sein« Reich, für sich. Der hohe Klerus ging auch großenteils zu dem »Nachfolger des Vaters im Frankenreich« über: die Erzbischöfe Hetti von Trier, Amalwin von Bisanz, Otgar von Mainz, ein Todfeind Ludwigs des Deutschen, die Bischöfe von Metz, Toul, Lüttich, Lausanne, Worms, Paderborn, Chur, der Abt von Fulda und spätere Erzbischof von Mainz Rhabanus Maurus u.a. Auch wurde der vertriebene, inzwischen jahrelang in Haft gehaltene Parteigänger Lothars, Erzbischof Ebo von Reims, wieder in aller Form restituiert, mußte aber vor Karl bald erneut zu Lothar flüchten, der ihm die Klöster Stavelot und Bobbio gab, bis er auch bei Lothar in Ungnade fiel, die Abteien verlor, doch dafür durch Ludwig den Deutschen Bischof von Hildesheim wurde. 7
    Indes gingen nicht nur die Kombattanten früherer Kämpfe zu Lothar über, sondern selbst Prälaten aus der nächsten Umgebung des alten Kaisers, allen voran Karlssohn Drogo, Bischof von Metz, Ludwig des Frommen Erzkapellan, der Lothar Krone, Schwert und Szepter des verstorbenen Vaters überbrachte.
    Da die Großen, »von allen Seiten von Hoffnung oder Furcht getrieben«, nun zu Lothar strömten, Ludwig und Karl aber viele Vasallen verließen, überspannte Lothar den Bogen, indem er erwog, »durch welche Mittel er ungehindert das gesamte Reich an sich reißen könnte«, wobei er beschloß, sich zuerst auf Ludwig »zu stürzen« und »dessen Macht zu vernichten« (Nithard). Als ihm dieser freilich die Zähne zeigte, vereinbarte er mit ihm ein Stillhalteabkommen und beabsichtigte jetzt, sich auf Karl zu werfen und ihn mit einem gewaltigen Heer »bis zur Vernichtung zu verfolgen«, wie Graf Nithard, der »illegitime« Karlsenkel, der für Karls des Kahlen Sache mit Feder und Schwert streitende und 845 fallende Historiker der Bruderkriege schreibt, einer der wenigen Laienschriftsteller des Frühmittelalters. 8
    Dank der unentwegten Machenschaften seiner nun allerdings entmachteten Mutter besaß Karl der Kahle beim Tod Ludwigs des Frommen die Anwartschaft auf die Hälfte des Reiches. Lothar aber rückte zuerst zur Seine, dann gegen die Loire vor und trieb Karl im Herbst 840 in die Enge. Denn Karl hatte nicht nur diesen Bruder zum Feind, auch Pippin von Aquitanien und die noch selbstbewußteren Bretonen standen gegen ihn in Waffen. Zudem ging man dort, wo Lothar vorrückte, gern zu ihm über; nichts als der übliche Opportunismus von Klerus und Adel. So ließ sich eine Tochter Karls »des Großen«, die Äbtissin Rothild von Faremoutier, klösterlichen Besitz von Lothar bestätigen. So eilten u.a. »Abt Hilduin von St. Denis und Graf Gerard von Paris, von Karl abfallend, eidbrüchig zu ihm«. Und wie sie,

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