Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
(Krieg – und ebenso die nah verwandte Fehde – begann gewöhnlich durch die faktische Attacke auf den Feind.) 16
Auch Päpste aber, Leo IV. (847–855) und Johann VIII. (872–882), sicherten bereits allen, die im Kampf wider Heiden und sonstige Kirchengegner fielen, den himmlischen Lohn, das ewige Leben zu.
Militärseelsorge oder »Liebe in fremder Gestalt«
Längst nämlich sorgte sich Mutter Kirche um die Seelen ihrer schlachtenden Söhne. Kein Geringerer als der »Apostel der Deutschen«, der hl. Bonifatius (IV 11. Kap.), der dem König von Mercien Schilde und Lanzen schenkte, erstrebte energisch eine intakte Militärseelsorge. So verfügte das Concilium Germanicum 742: »der Fürst soll einen oder zwei Bischöfe samt den Pfalzpriestern bei sich haben und jeder Kommandierende (Graf) einen Priester, welche über solche, die ihre Sünden beichten, das Urteil sprechen und ihnen Buße auflegen können«. Der Beschluß wurde von Karlmann, dem Herrscher Austrasiens, durch Königsgesetz wiederholt und bestätigt, später auch von Papst Hadrian I. befürwortet, womit die karolingische Militärseelsorge erstmals rechtlich und förmlich begründet worden war.
Seit der Ära Karls I. wird sie oft erwähnt. Und nicht wenige begleiteten zwecks Gottesdienst, Sakramentenspende, Propaganda das Heer, zumal im 9., im 10. Jahrhundert, in dem unter den Ottonen in Italien die Domkanoniker als Feldpfaffen fungierten. Wie ja auch die Kriege, besonders die sogenannten Bürgerkriege und Fehden (ein Unterschied mehr der Größenordnung als der Gattung) im Mittelalter kaum abgerissen sind, wobei weniger die Ethik der Christen erstarkte als ihre Barbarei.
So ist es pure Augenwischerei zu behaupten, das Christentum habe erst die Welt tiefer durchdringen müssen und dabei erst mittels »immer neuer Impulse, neuer religiöser Kraftströme«, von Benedikt von Aniane (V 35 ff.) im 9. Jahrhundert über Cluniazenser und Gorzer, Zisterzienser und Prämonstratenser bis zu den Bettelmönchen im 13. Jahrhundert, das blutige Geschäft, die disciplina militaris, gleichsam humanisiert. Es gab »eine Veredlung des Waffenhandwerks durch ein christliches Ritterideal«, wenn es auch »erst auf der Höhe des Mittelalters geschichtlich wirksam wurde« (Schieffer) – nach eintausendzweihundert Jahren christlicher Zeitrechnung!
Und wurde es denn wirksam?
In Wirklichkeit blieben doch die Kriege im ganzen Mittelalter gleich fürchterlich. Und wurden danach unter christlichen Völkern nicht nur umfassender, sondern noch fürchterlicher, immer geordneter und zermalmender zugleich, eine schrankenlos ausufernde, faktisch fast unbegrenzte, aber kirchlich grundsätzlich abgesegnete Eskalation der Gewalt, die sich mehr und mehr auch auf die Nichtkombattanten erstreckte. 17
Gleichwohl setzen die Apologeten ihr abgeklappertes Repertoire, ihre permanente Volksverblödung und -verrohung fort. So schreibt, völlig unerschüttert durch zwei Weltkriege, Franz Böckle, Deutschlands einst prominentester Moraltheologe: »Wenn Gewalt dem wirklichen Verbrechen selbst wehrt, ist sie nicht böse, sondern erscheint dann vielmehr als Liebe in fremder Gestalt. Absolute Gewaltlosigkeit führt geradezu zu Anarchie und Gewalttätigkeit.«
Absolute Gewaltlosigkeit ist des Teufels, klar. Ergo praktiziert die Christenheit die »Liebe in fremder Gestalt« und wird von ihren Pfaffen dafür längst nicht mehr gestraft, wird vielmehr dafür buchstäblich zu Tod gelobt. Noch ins 4. Jahrhundert zwar gebietet Basilius, Bischof, Heiliger und Kirchenlehrer, den Kriegern, »mit ihrer unreinen Hand drei Jahre wenigstens der Kommunion fernzubleiben«. Und noch Jahrhunderte später verlangt Fulbert von Chartres für das Töten im Krieg ein Jahr lang Buße – für Töten eines Priesters (im Frieden) allerdings einundzwanzig Jahre. 18
Segnen der Feldzeichen, der Waffen, der Schlächter oder »Christ ist geboren«
Da ein Jahr Buße, dort einundzwanzig Jahre – wen das nicht nachdenklich macht! Dabei wurde damals das Abstechen im Kampf von der Kirche schon lang gefordert, jahrhundertelang. Wurde darüber hinaus das ganze Kriegsgeschehen mit klerikalem Ungeist angereichert, wurde der Massenmord pseudoreligiös ritualisiert, mystifiziert, durch Verwendung christlicher Texte, durch Symbole, Weihe, Segen etc. in der Liturgie, der Schlacht, in deren Vorbereitung.
Bereits im 5. oder 6. Jahrhundert heißt es im leonianischen Sakramentar, seinerzeit in Rom entstanden: »Besiege, Herr, die Feinde des
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