Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
Leben öde und prosaisch.«
Heinrich Fichtenau 13
»Erträglicher ist der Kampf mit den Waffen als ein Rechtsstreit.«
Gerbert von Aurillac (Papst Silvester II., 999–1003) 14
Noch heute gilt das Christentum, wunderbarerweise, als ein Verein des Friedens, der Nächsten-, Feindesliebe, Frohen Botschaft. Noch heute ahnt die Mehrzahl der Menschen und zumal der christgläubigen nicht das ungeheure Ausmaß der Verstrickung schon der spätantiken, vor allem aber der frühmittelalterlichen Kirche in Fehden und Kriege. Denn mehr als jede andere Religion, selbst mehr als der Islam, ist das Christentum die Religion des Krieges gewesen und geblieben.
Bereits im frühen 4. Jahrhundert erfolgt dieser Verrat, die jähe Metamorphose der Kirche der Pazifisten in die der Feldpfaffen, ihr schlimmster Fall, und sozusagen einer über Nacht (I 247 ff!). Zwar klingt gelegentlich ein armseliger Rest von urchristlichem Pazifismus nach, setzten frühmittelalterliche Poenitentialien, in Fortführung einer Bestimmung des Basilius von Cäsarea, für Tötung des Kriegsfeindes eine Buße für 40 Tage fest, ja manchmal für ein Jahr, wie noch Fulbert, seit 1006 Bischof von Chartres. Doch umging man derartige Strafen im Investiturkampf dann dadurch, daß man den jeweiligen Gegner nicht als Menschen ansah – und konnte nun ungestraft töten.
Im Orient gibt es bald Soldatengötter, kriegerische Heilige, den hl. Demetrius, den hl. Theodor, hl. Sergius, hl. Georg. Und schon im ausgehenden 4. Jahrhundert schlägt sich die Sache literarisch nieder, schreibt Christ Vegetius seine »epitoma rei militaris«: ein offenbar an Kaiser Theodosius I. gerichtetes Opus, die sogenannte Kriegskunst betreffend: Rekrutenaushebung und -ausbildung, das Heer samt seinen Einrichtungen, den Festungs-, den Seekrieg. Durch Jahrhunderte hat dies Lehrbuch eines Christen das militärische Denken der Christenheit beherrscht. Es wurde bis ins spätere Mittelalter eifrig gelesen, abgeschrieben und von den Heerführern praktisch gebraucht. Es stand in Klosterbibliotheken, in Reichenau, in St. Gallen. Bischöfe schenkten es gern Fürsten, wie Bischof Hertgar von Lüttich (mit entsprechendem Widmungsgedicht) dem Heerführer Graf Eberhard von Friaul (gest. 864 oder 866), einem Schwiegersohn Ludwigs des Frommen.
Eberhard, ein erfolgreicher Haudegen gegen Sarazenen wie Slawen und in der von ihm gegründeten Abtei Cysoing bei Tournai als Heiliger verehrt, war befreundet mit Rhabanus, dem berühmten Abt von Fulda und Metropoliten von Mainz. Und dieser schuf, wahrscheinlich noch in seinem letzten Lebensjahr, 855, eine gekürzte Fassung des Vegezschen Werkes für den jungen König Lothar II., einen Neffen Karls des Kahlen. In einigen Zusätzen rühmt der Erzbischof den Kampf für Freiheit, König, Vaterland als beste Gewähr für den Eingang ins Paradies. »Denn wer die seinem Fürsten gelobte Treue unversehrt bewahrt und lieber sein gegenwärtiges Leben verlieren will als die Treue, der wird ohne Zweifel das ewige Leben von dem erhalten, welcher das Recht geschaffen und es zu bewahren befohlen hat.« 15
Im selben Säkulum beantwortet Nikolaus I. (858–867), der heilig gesprochene Papst, die Anfrage der Bulgaren, ob man an bestimmten heiligen Tagen Krieg führen dürfe, recht christlich: »Wenn zu diesen Zeiten Krieg vermeidbar sei, so solle man von ihm ablassen; erweise er sich aber zu Verteidigung des Vaterlandes oder aus ähnlich gerechten Gründen als notwendig, so sei er zu führen; es hieße Gott versuchen, angesichts der größten Gefahr die Hände in den Schoß zu legen; nicht auf bestimmte Tage, sondern allein auf den Herren seien Hoffnung und Heil zu setzen; diese Lehre zu erteilen, habe Gott die Hebräer niedermetzeln lassen, als sie sich am Sabbat zu kämpfen geweigert hätten (1 Mac. 2,32 ff.).«
Oh erhebendes biblisches Beispiel! Und wie willkommen stets: Niedermetzeln, wer nicht metzeln will – »gerechte« Gründe natürlich vorausgesetzt. Doch die gab es immer. Vom »gerechten« Krieg reden und leben (!) die Theologen seit Augustinus (I 514 ff.). In Wirklichkeit freilich zerbrach man sich, fing der Krieg erst einmal an, über seine Gerechtigkeit nicht mehr den Kopf, sollte man vielmehr marschieren, sollte auf Befehl zuschlagen, sollte töten von Anfang an und von Anfang bis Ende. Wie noch heute! Im Mittelalter aber waren Kriege so häufig, daß man Kriegserklärungen im modernen Sinn kaum kannte, daß man geradezu sagte, sie seien nicht gebräuchlich gewesen.
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