Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
Eigenheiten, seinem pathologischen Ehrgeiz, überzogenen Stolz, seiner unersättlichen Habgier, Freßgier (er konnte seinen Oberkoch gewaltig abkanzeln, weil er ihm an einem Fasttag nur sechs Fleischgerichte vorsetzen ließ), von seinen Bluttaten, seiner Grausamkeit zu schweigen, doch war er auch mutig, gebildet, ein versierter Jurist, wie seine Veröffentlichung des »Liber sextus« (1298) zeigt. Er gründete in Rom eine Universität und hatte selbst einen überragenden Verstand, der ihn denn auch zum Unglauben führte, zum »glaubenslosen Priester« machte, gar zum »Antichrist unter den mittelalterlichen Päpsten« (Davidsohn).
Nicht von ungefähr galt Bonifaz schon zahlreichen Zeitgenossen als »Ketzer«. Und er selbst belehrte, kurz bevor er durch Coelestins Verzicht auf den Papststuhl kam, viele, ob seines Freimuts sehr erstaunte Hörer, »die christliche Religion sei ebensogut Menschenwerk, wie der Glaube der Juden oder Mohammedaner, die Jungfrau Maria könne, da sie einen Sohn gebar, so wenig Jungfrau gewesen sein, wie seine eigene Mutter, als sie ihn zur Welt brachte, es sei dumm, zu glauben,
ein
Gott sei ein dreifacher Gott. Die Leute seines Gefolges verhöhnte er, als sie vor der Hostie niederknieten, die zu einem Sterbenden gebracht wurde; andere nannte er aus gleichem Anlaß ›Esel‹ und ›Bestien‹. Er trug bereits die Papstkrone, als er gelegentlich erklärte: die Toten würden so wenig auferstehen, wie sein vorgestern krepiertes Pferd, es gäbe kein Weltende, denn die Welt sei ewig, nur für den Menschen bedeute freilich der Tod das Ende der Welt, denn es gäbe keine andere als die sichtbare« (Davidsohn).
Bonifaz' VIII. hohe Intellektualität bewahrte ihn allerdings nicht vor mancherlei Aberglauben, dem Vertrauen zu Wahrsagern und Sterndeutern, sie implizierte auch große Menschenverachtung und hypertrophen Pfaffendünkel. Seine Arroganz hat Arnolfo di Cambio, Schüler des Nicola Pisano, ausgedrückt, während Giottos porträtgetreues Fresco einen Anflug verschattender Schwermut festhält, eine gewisse »Introspektion« – im Jubeljahr 1300, auf dem Gipfel seiner Macht und dem Anfang ihres Niedergangs.
War in Rom und im Vatikan Giotto tätig, miniierten Oderisio von Gubbio und Franco Bolognese Bücher für die lateranische Bibliothek. Bonifaz achtete die Kunst, doch seine politischen Machenschaften ließen ihm kaum Zeit dafür, ließen ihn Kunst, in Palestrina etwa, auch bedenkenlos zerstören. Und mehr als die Künstler, die ihn oft darstellten, im Vatikan und Lateran, in Orvieto, Anagni, Florenz, Künstler, deren Arbeit er durchaus respektierte, zumal deren Anfertigung von Ehrenstatuen seiner selbst, mehr beschäftigte er die Geschichtsschreiber von Spanien bis England und Irland, noch mehr die Legisten, die Gesetzeskundigen. Wohl am auffallendsten aber, am einprägsamsten spiegeln ihn die Werke großer Dichter, besonders die der Florentiner. In Dantes »Göttlicher Komödie«, schreibt E.R. Chamberlin, werfe der »hochgemute Sünder« einen noch größeren Schatten als Luzifer, erscheine er doch in jedem der drei Bücher, in der Hölle, dem Purgatorium, dem Paradies, als ein von ganz Europa bestaunter Berserker, der keinem Menschen unterlegen sei, »sondern der Strömung der Geschichte selbst«. 11
Ein Viertel aller Kurialeinnahmen der eigenen Familie zugesteckt
Außenpolitisch ist Bonifaz VIII., weil zu impulsiv und die Mutationen der Zeit, das schwindende Ansehen des Papsttums verkennend, das meiste mißglückt, was er angriff: im ungarisch-schottischen Thronstreit etwa; im Sizilienkonflikt gegenüber dem Staufererben Friedrich von Aragón, der seine Unabhängigkeit behauptete; beim Kampf gegen den französischen König Philipp IV., der ihn an den Rand des Abgrunds brachte, ja hinein. Und obwohl er, zumindest auf die »Großen« der Welt, mit unzeitgemäßen Betrachtungen, nicht mehr zeitgemäßen Bannstrahlen und sonstigen geistlichen Zwangsmitteln kaum noch Macht ausüben konnte, probierte er es immer wieder, stand er als mächtig finsterer Fels in der Brandung, bis ihn die Brandung zerbrach. Seine Vermessenheit, Wildheit, sein Haß haben, bei aller Scheußlichkeit, auch etwas Faszinierendes, abstoßend Imposantes. Knapp sechzig, von Gicht und Gallenstein geplagt, wollte der neue Pontifex (ein Neffe Alexanders IV., seinerseits Neffe Gregors IX. und Verwandter Innozenz' III., wie auch Bonifaz mit weiteren Päpsten entfernt verwandt gewesen ist) alles ausschalten und vernichten, was
Weitere Kostenlose Bücher