Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert
deshalb mußten sie ja ungültig, mußten sie aus dem Gnaden- und Geschäftsverkehr gezogen werden, bedurfte es stets neuer Indulgenzerweise. So »sistierte« man, wie das Kunstwort lautet, und verlieh neu und bezahlte neu und kassierte neu.
Wie viele Kreuzablässe gab es bereits! Doch vom 15. Jahrhundert an widerrief man immer häufiger (fast) alle bisherigen und schrieb neue aus. Pius II. brauchte Geld für die Restaurierung der römischen Basilika San Marco. Also ließ er den Bischof von Treviso in seiner Diözese hundert Leute suchen, die für einen Sterbeablaß eine namhafte Summe berappten – und suspendierte dort bis zur Auftreibung des Geldes alle anderen Ablässe. Sixtus IV. wollte zum Jubeljahr 1475 Pilger massenweise in Rorg versammeln und dabei natürlich das Seine einstecken. Also hob er bereits am 29. August 1473 sämtliche vollkommenen Ablässe auf – ausgenommen die der Kirchen in Rom. Innozenz VIII. bestieg am 29. August 1484 den Heiligen Stuhl – und am 30. August 1484 annullierte er (mit Ausnahme der Sterbeablässe) alle Plenarablässe seines Vorgängers. Wer diese wieder wollte, konnte sie zwar gerne haben, doch gegen neue Bezahlung. Und wie Innozenz VIII. verfuhren im Anschluß an ihn: Alexander VI., Pius III., Julius II., Leo X., Hadrian VI. 13
Die kirchlichen Behörden haben zum Ablaßschwindel lange geschwiegen, nur einzelne Theologen, teilweise anonym (!), protestiert. Erst als der Betrug immer offenkundiger wurde, erregte man sich über das Treiben von Quästoren, Almosenbegehrern, Ablaßpredigern, die ohne päpstliche oder bischöfliche Erlaubnis Geld sammelten, die päpstliche und bischöfliche Verordnungen fälschten, was schließlich von Spanien bis Skandinavien ständig vorkam, doch gar nicht vorgekommen wäre, hätte der niedere Klerus nicht vom höheren gelernt, gegen einen Teil der gehorteten Gelder mit den Quästoren gemeinsame Sache zu machen. Erst als der Gnadenverkauf allzu plump und oft betrieben wurde, geriet er in Mißkredit, mußte der hohe Klerus um seine Einnahmen fürchten – und eiferte in ganz Europa gegen die kleinen Gauner.
Auch gab es selbstverständlich längst die im Katholizismus bis heute beliebte Praxis, bei einfach nicht mehr zu kaschierenden Skandalen die niedere Klerisei, geringere Prälaten, zu tadeln, um ja keinen Schatten auf höhere, höchste, den Heiligen Vater selbst, fallen zu lassen, die eigentlichen Brutstätten doch der Korruptheit. So eifert Hieronymus Emser, von 1505 bis 1511 in Dresden Sekretär und Hofkaplan des Herzogs Georg von Sachsen: »Daß aber der Mißbrauch drein gekommen, ist nicht des Papstes, sondern der geizigen Kommissäre, Mönche und Pfaffen Schuld, die so unverschämt davon gepredigt und allein von ihres eigenen Nutzens wegen, damit sie des Sackes auch einen Zipfel kriegten, die Sache also grob gemacht und mehr aufs Geld, denn auf Beichte, Reue und Leid gesetzt, dessen sie doch von Päpstlicher Heiligkeit ungezweifelt keinen Befehl gehabt haben.«
Immerhin galt ihnen aber die strikte Order der Päpste, ihre Ablässe zu verkünden. Zwang man ja auch die Gemeinden unter Androhung von Kirchenstrafen, »bei Pein des Bannes«, wie es 1517 in Hildesheim heißt, der Ablaßverkündigung beizuwohnen. Ja, häufig hatte man diesen Tag in den Pfarreien schon vom 13. Jahrhundert an zum Feiertag gemacht und mit erheblichem Gepränge, »mit großer Löblichkeit«, »mit großer Reverenz« begangen. 14
Je größer freilich der Aufwand und die Gnaden, desto geringer allmählich deren Popularität. So berichtet 1436 eine anonyme Chronik von einem Ablaß zur Griechenmission: doch »da tailtens die pfaffen under in und losten sich auß der herberg zuo Basel im consily und wurden die layen gelaicht«. Und als im Frühjahr 1518 Ablaßkommissäre Breslau heimsuchten, bat das dortige Domkapitel den Bischof, sie nicht zuzulassen, seien doch so viele ähnliche Ablässe verkündet worden, »daß das Volk bereits Ekel davor habe und sein Gespött damit treibe«. Erhob sich ja auch 1450 beim Verlesen des Rom-Ablasses durch den Augsburger Bischof »groß murbeln under dem volck dann vor langen Zeiten bruoder Berchtold hie gepredigt hett: ›wenn ainem Rom für die thür kam, so solt man die peutel zuohalten‹ und ward sein oft gedacht«; gleichwohl glitten 20000 Gulden in die Kirchenkassen. Doch gerade in Augsburg, der Stadt der Fugger, deren F. von 1510 bis 1534 auf den römischen Münzen stand, hörte man immer wieder Schmähungen auf den Ablaß
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