Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert
es gern«, bekundete eine Nonne, »daß wir den Seelen im Fegfeuer zu Hilfe kommen möchten ... Es holten sich etliche Schwestern 200 Seelen, etliche 100, etliche 50, und darnach jegliche vermöchte.«
Noch um die Mitte des 14. Jahrhunderts war die längst geübte Arme-Seelen-Rettung theologisch sehr umstritten. Doch im späteren 15., im frühen 16. Jahrhundert verliehen die Päpste Calixt III., Sixtus IV., Innozenz VIII., Alexander VI., Julius II., Leo X. authentische Ablässe für Verstorbene.
Gewährt ja noch im 20. Jahrhundert die weiter sehr ablaßfreudige Catholica Ablässe für Lebende: für einen Kleriker, der seinen Chorrock anzieht, das Kreuzzeichen schlägt und ein bestimmtes Gebet spricht: 300 Tage Ablaß. Auch wer den Ring des Papstes küßt, bekommt im Jahrhundert Einsteins 300 Tage Ablaß, wer den eines Kardinals küßt, 100 Tage, den eines Bischofs, 50 Tage Ablaß. Wer betet »O Herr, bewahre uns den Glauben«: 100 Tage Ablaß jedesmal. Wer beim Hören von Gotteslästerungen den Lobspruch spricht »Gott sei gepriesen!«: 50 Tage Ablaß jedesmal. Und sogar für die Armen Seelen im Fegfeuer gewährt der Apostolische Stuhl noch Ablässe – die Wirkung aber läßt man jetzt offen. Ist die Ablaßeffizienz für Lebende nach wie vor »unfehlbar«, »kann nicht festgestellt werden«, ob und wie weit »einer ganz bestimmten armen Seele ein Ablaß zugute kommt« (Jone).
Im übrigen rügt man nun den »Mangel an Kritik« im Mittelalter – ja, wer wollte ihn denn! –, tadelt die allzu häufigen Ablaßverleihungen, die manchmal unangemessene Höhe, was schon den Spott »leichtfertiger (!) Humanisten« erregt habe, bemäkelt die zu geringen Leistungen für zu große Versprechen, die vielen Fälschungen – statt doch die ganze Sache selbst absurd, den Schwindel einfach Schwindel zu nennen. 11
Fortschritte beim Ablaßbetrug und Folgen
Im späteren Mittelalter stiegen die Gnadenschätze allmählich immer steiler an, die geringen Gewinne früherer Zeiten zogen nicht mehr. So steigerte man sie. Ein Gebet für den König von Frankreich, das Mitte des 13. Jahrhunderts unter Innozenz IV. 10 Tage Ablaß einbrachte, ergab hundert Jahre später unter Klemens VI. bereits 100 Tage. Ein noch relativ bescheidener Anreiz gewiß, doch bahnte sich eine inflationäre Entwicklung an.
Insbesondere waren mit der Visite vieler Kirchen Ablässe verbunden. Und hatte der päpstliche Legat Peraudi im Anfang des 16. Jahrhunderts für jede der Reliquien in der Schloßkirche zu Wittenberg – sie lagen dort bekanntlich tausendweise – 100 Tage Ablaß gespendet, machte Papst Leo X. aus den 100 Tagen für jede Partikel gleich 100 Jahre. Und für jede Reliquie in Halle verlieh er 4000 Jahre.
Mehr noch verheißt eine Berliner Handschrift: »Wer dies Gebet spricht, so man den Leichnam Christi erhebt, der verdient also viel Ablaß, als ein Mäher einen Tag Gras gehauen kann, und itzlich Gras bedeutet ein Jahr Ablaß.« War eine Indulgenz jedoch besonders hoch, wie eine von 48000 Jahren in der Sebastianuskirche Roms, so versicherte das deutsche Rombüchlein: »Es soll niemand an dem Ablaß zweifeln, der bei der würdigen Kirche ist; wer daran zweifelt, der sündigt größlich.«
Von einer Ablaßsumme von wenigen Tagen kam man allmählich – in echten oder gefälschten Dokumenten – bis zu 1000, 12000, 48000, ja zu 158790, 186093 Jahren und mehr. Bei einem Ablaß von 600000 Jahren (sexcenta millia annorum), einst zu gewinnen an Allerheiligen und natürlich in Rom (in der Kirche der hl. Bibiana), nimmt ein moderner katholischer Experte doch lieber »wohl einen Druckfehler an«. Dabei stand in einem englischen Gebetbuch ein Ablaß von 1000000 Jahren, und die Heiligtumsbücher von Wittenberg oder Halle erwiesen sich als nicht minder generös. 12
Eine Menge Ablaßbullen haben Welt- und Ordensgeistliche im späteren Mittelalter gefälscht, und die meisten dieser Fälschungen haben die Päpste im 15. und 16. Jahrhundert approbiert. Doch wurden nach manchen theologischen Experten die gefälschten Ablässe schließlich gültig – durch das Gewohnheitsrecht.
Die Menschen damals hätten freilich nicht leicht zwischen echten und unechten Ablässen zu unterscheiden gewußt, ganz beiseite, daß die einen so viel oder so wenig wert waren wie die andren. Erregt hat man sich auch eher über die Höhe der Preise. Und noch mehr über die – vom 13. Jahrhundert an – immer wiederholte Aufhebung älterer Ablässe, für die aber gezahlt war. Eben
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