Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Militärbehörden ließen elementare Hygienevorschriften außer Acht: Latrinen liefen über, und Kadaver verwesten in der Sonne. Die Kranken wurden zu einer von Ratten verseuchten Kaserne in Warna transportiert, wo sich erschöpfte Pfleger um sie kümmerten, denen sich im August eine kleine Gruppe französischer Nonnen anschloss. Die Toten wurden in Decken gewickelt und in Massengräbern beerdigt (später gruben die Türken sie wieder aus, um die Decken zu stehlen). In der zweiten Augustwoche waren schon 500 britische Soldaten der Krankheit zum Opfer gefallen, und die Sterbeziffer unter den Franzosen erhöhte sich auf mehr als sechzig pro Tag. 37
Dann brach ein Feuer in Warna aus. Es begann am Abend des 10. August in den alten Handelsvierteln der Stadt und griff rasch auf den benachbarten Hafen über, wo die Vorräte der alliierten Heere auf Schiffe verladen werden sollten. Das Feuer war nahezu sicher von griechischen und bulgarischen Brandstiftern gelegt worden, die mit der russischen Sache sympathisierten (man nahm mehrere Männer mit Streichhölzern in der Gegend fest, wo die Feuersbrunst ausgebrochen war). Die halbe Stadt stand in Flammen, bevor französische und britische Soldaten mit Wasserpumpen eintrafen. Läden und Kais, auf denen sich Kästen mit Rum und Wein stapelten, explodierten in der Hitze, und Alkoholbäche flossen durch die Straßen, wo sich Feuerwehrleute aus der Gosse betranken. Als das Feuer eingedämmt war, hatte die Versorgungsbasis der alliierten Armee starke Schäden davongetragen. »Warna enthielt all die Munition, all den Nachschub und Proviant, die ein Heer während eines Feldzugs benötigt«, schrieb Herbé seinen Eltern am 16. August. »Die Pulverkammern der Franzosen, der Engländer und der Türken befanden sich in der Mitte der Feuersbrunst. Große Teile der Stadt verschwanden und mit ihnen die Hoffnungen der auf der Ebene lagernden Soldaten.« 38
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Nach dem Feuer reichten die in der Stadt vorhandenen Vorräte nur noch dazu aus, die alliierten Armeen acht Tage lang zu ernähren. Offensichtlich mussten die Soldaten Warna und dessen Umgebung verlassen, bevor sie von Cholera und Hunger aufgerieben wurden.
Nachdem die Russen gezwungen worden waren, sich von der Donau zurückzuziehen, hätten Briten und Franzosen den Sieg für sich beanspruchen und heimkehren können. Es wäre denkbar gewesen, den Krieg in diesem Stadium zu beenden. Die Österreicher und Türken hätten die Fürstentümer als Friedenstruppe besetzen können (bis Mitte August hatten sie separate Besatzungszonen festgelegt und sich geeinigt, die Kontrolle über Bukarest gemeinsam auszuüben), während die Westmächte den Russen mit der Interventionsdrohung das Versprechen hätten abringen können, sich nicht mehr auf türkischen Boden zu begeben. Warum also bemühten sich die Alliierten nicht um Frieden, als die russischen Truppen die Fürstentümer verlassen hatten? Warum beschlossen sie, in Russland einzumarschieren, obwohl der Krieg bereits gewonnen war? Warum kam es überhaupt zum Krimkrieg?
Die alliierten Befehlshaber waren frustriert über den Rückzug der Russen. Nachdem sie mit ihren Armeen eine so große Entfernung zurückgelegt hatten, fühlten sie sich »um den Sieg gebracht«, wie Saint-Arnaud es ausdrückte, und wollten ein militärisches Ziel erreichen, um ihre Anstrengungen rechtfertigen zu können. In den sechs Monaten seit ihrer Mobilmachung hatten die alliierten Streitkräfte kaum die Waffen gegen den Feind erhoben. Sie wurden von den Türken verspottet und in der Heimat lächerlich gemacht. »Da sind in Varna«, schrieb Karl Marx in einem Leitartikel in der New York Times vom 17. August, »80 000 bis 90 000 englische und französische Soldaten unter dem Befehl des ehemaligen Kriegssekretärs des alten Wellington [Raglan] und eines Marschalls von Frankreich [Saint-Arnaud] (dessen größte Heldentaten allerdings in Londoner Leihhäusern vollbracht wurden) – da sind die Franzosen, die nichts tun, und die Briten, die ihnen dabei soviel wie möglich helfen.« 39
In London war das britische Kabinett ebenfalls der Meinung, dass der Rückzug der Russen aus dem Donaugebiet nicht ausreichte, um die bereits gebrachten Opfer zu rechtfertigen. Palmerston und seine »Kriegspartei« waren nicht bereit, Friedensverhandlungen zu führen, solange die russischen Streitkräfte intakt blieben. Sie wollten Russland schweren Schaden zufügen und seine militärische Schlagkraft am Schwarzen Meer zerstören, um
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