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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Militärgeschichte begannen, statt andere Strategien zur Schwächung der russischen Landheere zu entwickeln. Dabei waren Letztere – und nicht nur die Schwarzmeerflotte – der eigentliche Schlüssel zur Macht Russlands über die Türkei. 46
    Der Krimfeldzug war nicht nur falsch konzipiert, sondern auch schlecht geplant und vorbereitet. Die Entscheidung, die Krim zu besetzen, wurde ohne Kenntnisse der Lage vor Ort getroffen. Die alliierten Befehlshaber besaßen keine Karten der Region. Ihre Informationen stammten aus veralteten Reiseberichten, etwa aus Lord de Ros’ Tagebuch über seine Krimreisen und Generalmajor Alexander Macintoshs Journal of the Crimea , beide aus dem Jahr 1835. So glaubte man, die Winter auf der Krim seien extrem mild, obwohl in neueren Büchern auf die Kälte hingewiesen wurde, etwa in The Russian Shores of the Black Sea in the Autumn of 1852 von Laurence Oliphant, das 1853 erschienen war. Infolgedessen verzichtete man auf Winterkleidung und - unterkünfte, unter anderem auch wegen der optimistischen Annahme, der Feldzug werde nur von kurzer Dauer und der Sieg vor dem Einsetzen des Frostwetters errungen sein. Niemand wusste, wie viele russische Soldaten sich auf der Krim befanden (Schätzungen lagen zwischen 45 000 und 80 000) und wo auf der Halbinsel sie stationiert waren. Die alliierten Flotten konnten lediglich 60 000 von den 90 000 in Warna liegenden Kämpfer zur Krim befördern – nach der optimistischsten Berechnung weniger als die Hälfte des Verhältnisses drei zu eins, das in Militärhandbüchern für eine Belagerung empfohlen wurde – , und auch das nur, wenn man Ambulanzen, Zugtiere und andere wichtige Versorgungsgüter zurückließ. Die Alliierten vermuteten, dass die von der Donaufront zurückweichenden russischen Streitkräfte zur Krim verlegt werden würden, weshalb es die beste Lösung für sie sei, Sewastopol vor der Ankunft der Verstärkungen durch einen Überraschungsangriff im Handstreich einzunehmen und die Militäranlagen sowie die Schwarzmeerflotte zu zerstören. Ein weniger erfolgreicher Angriff auf Sewastopol würde ihrer Meinung nach wahrscheinlich die Besetzung des Perekop erfordern, der Landenge zwischen der Krim und dem Festland, damit man die russischen Verstärkungen und Nachschublieferungen blockieren konnte. In seiner Depesche vom 29. Juni hatte Newcastle Raglan befohlen, seine Aufgaben »ohne Verzug« auszuführen, doch Raglan weigerte sich mit dem Argument, seine Männer würden unter der Hitze der Krim-Ebene leiden. 47
    Während der Zeitpunkt der Invasion näher rückte, bekamen die Militärführer augenscheinlich kalte Füße. Vor allem die Franzosen hatten Bedenken. Newcastles Anweisungen an Raglan wurden von Marschall Vaillant, dem Kriegsminister, für Saint-Arnaud kopiert, doch der französische Befehlshaber war skeptisch. Seine Vorbehalte gegenüber dem Plan wurden von den meisten seiner Offiziere geteilt, die meinten, dass der Angriff Großbritannien als Seestreitmacht mehr Nutzen bringen werde als Frankreich. Derlei Zweifel wurden jedoch durch die Politiker in London und Paris beiseitegewischt, denn sie brauchten eine Offensive, um die Öffentlichkeit zufriedenzustellen, und waren zunehmend darauf bedacht, dass die Soldaten die mit Cholera verseuchte Gegend von Warna verließen. Gegen Ende August kam Saint-Arnaud zu dem Schluss, dass bei einem Angriff auf Sewastopol weniger Männer umkommen würden, als bereits der Cholera zum Opfer gefallen seien. 48
    Der Einschiffungsbefehl war wie eine Erlösung für die meisten Soldaten, die laut Herbé »lieber wie Männer kämpfen als durch Hunger und Krankheit verkümmern wollten«. Ende August schrieb Robert Portal, ein britischer Kavallerieoffizier:
    Die Männer und Offiziere hadern täglich mehr mit ihrem Schicksal. Sie tun nichts, als ihre Kameraden zu beerdigen, und sagen laut, sie seien nicht zum Kämpfen hierher gebracht worden, sondern um dahinzusiechen und in diesem Land der Cholera und des Fiebers umzukommen … Wir hören, dass im französischen Lager gemeutert wird; die Soldaten schwören, sie würden überallhin marschieren und alles Mögliche unternehmen, aber bloß nicht hierbleiben, um zu sterben.
    Die Gerüchte von einer Meuterei im französischen Lager wurden durch Oberst Rose, der dem französischen Stab zugeteilt war, bestätigt. Er meldete am 6. September nach London, das französische Oberkommando habe »keine hohe Meinung von der Stabilität und Widerstandskraft der französischen

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