Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
Vom Netzwerk:
ein, »war es, den aggressiven Ehrgeiz Russlands zu dämpfen. Wir zogen nicht in erster Linie deshalb in den Krieg, damit der Sultan und die Muslime in der Türkei an der Macht bleiben, sondern um Russland aus der Türkei herauszuhalten.« Palmerston stellte sich den Angriff auf die Krim als erstes Stadium eines langfristigen Kreuzzugs gegen die zaristische Macht in der Schwarzmeerregion und im Kaukasus, in Polen und im Ostseegebiet vor. Dies entsprach seiner Kabinettsvorlage vom 19. März, in der er seinen ambitiösen Plan zur Zerstückelung des Russischen Reiches umrissen hatte. Ende August nun hatte er im Kabinett beträchtliche Unterstützung für diesen erweiterten Krieg gewonnen. Außerdem hatte er eine inoffizielle Absprache mit dem französischen Außenminister Drouyn de Lhuys darüber getroffen, dass »kleine Resultate« nicht ausreichen würden, um die unvermeidlichen Menschenverluste des Krieges wettzumachen, und dass nur »große territoriale Veränderungen« in der Donauregion, im Kaukasus, in Polen und an der Ostsee einen Feldzug auf der Krim rechtfertigen konnten. 44
    Solange jedoch Aberdeen als Premierminister amtierte, war es für Palmerston unmöglich, dafür zu sorgen, dass solche Pläne als alliierte Politik akzeptiert wurden. Die Vier Punkte, auf die sich die Westmächte nach mehreren Verhandlungsmonaten am 8. August mit den Österreichern einigten, sahen bescheidenere Ziele vor. Ein Frieden zwischen Russland und den alliierten Mächten könne nur vereinbart werden, wenn
    1.Russland auf alle Sonderrechte in Serbien und den Donaufürstentümern verzichte, deren Schutz die europäischen Mächte zusammen mit der Hohen Pforte garantieren würden;
    2.die Donauschifffahrt jeglichem Handel offenstehe;
    3.der Meerengenvertrag von 1841 »im Interesse des Machtgleichgewichts in Europa« revidiert werde (um die russische Flottenvorherrschaft auf dem Schwarzen Meer zu beenden);
    4.die Russen ihren Anspruch auf ein Protektorat für die christlichen Untertanen der Türkei aufgäben. Deren Sicherheit solle durch die fünf Großmächte (Österreich, Großbritannien, Frankreich, Preußen und Russland) in Absprache mit der türkischen Regierung garantiert werden.
    Die Vier Punkte waren recht schonend (nichts anderes hätten die Österreicher akzeptiert), zugleich jedoch so vage, dass die Briten (welche die Macht Russlands einschränken wollten, aber keine rechte Vorstellung davon hatten, wie sie dies in konkrete politische Maßnahmen umsetzen sollten) im Verlauf des Krieges weitere Bedingungen hinzufügen konnten. In einem geheimen fünften Punkt, auf den sich Briten und Franzosen ohne Wissen der Österreicher geeinigt hatten, wurde ihnen die Möglichkeit eingeräumt, je nach Ausgang des Krieges zusätzliche Forderungen zu stellen. Für Palmerston waren die Vier Punkte ein Weg, Österreich und Frankreich an eine große europäische Allianz zu binden, die einen unbefristeten Krieg gegen Russland führen würde – ein Krieg, der sich selbst nach der Eroberung der Krim noch ausweiten ließe. 45
    Palmerston ging sogar so weit, einen breit angelegten Plan für die Krim zu formulieren. Er schlug vor, das Gebiet den Türken zu übergeben und es mit den neuen türkischen Territorien zu verknüpfen, welche die Russen am Asowschen Meer, in Tscherkessien, Georgien und im Donaudelta verloren hatten. Doch kaum jemand anders war bereit, so ehrgeizige Pläne zu schmieden. Napoleon wollte Sewastopol in erster Linie als Symbol für den »glorreichen Sieg« einnehmen, den er sich wünschte, und um die Russen für ihren Angriff auf die Fürstentümer zu bestrafen. Und im britischen Kabinett vertraten die meisten den gleichen Standpunkt. Man nahm allgemein an, dass der Fall von Sewastopol Russland niederzwingen und den Westmächten gestatten würde, den Sieg für sich zu reklamieren und den Russen ihre Bedingungen aufzuerlegen. Das aber war wenig plausibel. Verglichen mit Kronstadt und den anderen Ostseefestungen, welche die russische Hauptstadt schützten, war Sewastopol ein ziemlich entlegener Außenposten im Reich des Zaren, und es gab keinen logischen Grund zu der Annahme, dass die Eroberung des Hafens durch die Alliierten Nikolaus zur Kapitulation zwingen würde. Die Folge dieser nie in Frage gestellten Hypothese war, dass die Alliierten im Lauf des Jahres 1855, als sich der Fall von Sewastopol nicht so rasch wie erwartet vollzog, die Stadt weiterhin unablässig beschossen und die damals längste und teuerste Belagerung der

Weitere Kostenlose Bücher