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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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mit Raglans Vorschlag für den Landeplatz einverstanden: der Kalamita-Bucht, einem ausgedehnten Sandstrand 45 Kilometer nördlich von Sewastopol. Am 10. September machte sich die Caradoc mit einer Gruppe hoher Offiziere auf, darunter Saint-Arnauds Stellvertreter General François Canrobert, um die Westküste der Krim auszukundschaften. Die Alliierten hatten geplant, Sewastopol durch einen Überraschungsangriff zu erobern, doch dies kam nach der Entscheidung, an einem so fernen Ort wie der Kalamita-Bucht vor Anker zu gehen, nicht mehr in Frage.
    Um die Landungstrupps vor einer möglichen Attacke der Russen an ihrer Flanke zu schützen, beschlossen die alliierten Kommandeure, zuerst die Stadt Jewpatorija zu besetzen, den einzigen sicheren Ankerplatz an jenem Teil der Küste und eine nützliche Süßwasser- und Nachschubquelle. Vom Meer her war das auffälligste Merkmal des Ortes seine große Zahl von Windmühlen. Das wohlhabende Jewpatorija diente als Handels- und Getreideverarbeitungszentrum für die Bauernhöfe der Krimsteppe. Seine Bevölkerung von 9000 Menschen bestand hauptsächlich aus Krimtataren, Russen, Griechen, Armeniern und karaitischen Juden, die sich in der Ortsmitte eine stattliche Synagoge gebaut hatten. 3
    Die Besetzung von Jewpatorija – die erste Landung der alliierten Heere auf russischem Boden – war von geradezu komischer Einfachheit. Am Mittag des 13. September näherten sich die alliierten Flotten dem Hafen. Die Ortsbewohner versammelten sich am Kai oder schauten aus Fenstern und von Dächern zu, wie sich der kleine, weißhaarige Nikolai Iwanowitsch Kasnatschejew, der Kommandant, Gouverneur, Quarantäne- und Zollamtsvorsteher von Jewpatorija, in Galauniform und angetan mit allen Insignien zusammen mit einer Gruppe russischer Offiziere auf dem Hauptpier postierte, um die französischen und britischen »Parlamentäre« zu empfangen, die mit ihrem Dolmetscher zu dem Zweck an Land gingen, die Übergabe des Ortes auszuhandeln. In Jewpatorija gab es außer ein paar Soldaten im Genesungsurlaub kein russisches Militär, weshalb Kasnatschejew den bewaffneten Flotten der Westmächte allenfalls mit den Reglements seiner Ämter Widerstand leisten konnte. Genau das tat er – gelassen, wenn auch sinnlos – , indem er verlangte, dass sich die Besatzungstruppen zum Lazaretto begaben, um die Quarantäne zu durchlaufen. Am folgenden Tag wurde die Stadt von einer kleinen alliierten Einheit besetzt. Diese Männer verbürgten sich für die persönliche Sicherheit der Bevölkerung, versprachen, alles, was sie konsumierten, zu bezahlen, und stellten es den Bewohnern frei, sich innerhalb eines Tages zu entfernen. Viele in der Region Ansässige waren bereits geflüchtet, besonders die Russen, die Hauptverwalter und Grundbesitzer der Gegend, die in den Tagen seit der ersten Sichtung der westlichen Schiffe ihre Sachen auf Wagen gepackt und sich nach Perekop aufgemacht hatten, um zum Festland zurückzukehren, bevor die Krim abgeschnitten war. Die Russen hatten nicht weniger Angst vor den Tataren – 80 Prozent der Krimbevölkerung – als vor den Besatzern. Sobald die alliierten Flotten von der Krimküste aus entdeckt worden waren, hatten sich große Gruppen tatarischer Dorfbewohner gegen die russischen Herren erhoben und bewaffnete Banden gebildet, um den Westmächten zu helfen. Auf dem Weg nach Perekop wurden viele Russen von diesen Tatarenbanden, die behaupteten, Eigentum für die neu gegründete »türkische Regierung« in Jewpatorija zu beschlagnahmen, ausgeraubt und umgebracht. 4
    Überall an der Küste ergriff die russische Bevölkerung, gefolgt von den Griechen, in Panik die Flucht. Die Straßen waren verstopft, weil die Flüchtlinge mit ihren Karren und ihrem Vieh nach Norden zogen, dem Strom der russischen Soldaten entgegen, die sich von Perekop nach Süden vorarbeiteten. Simferopol war überfüllt mit Menschen aus den Küstengegenden, die fantastische Geschichten über die Größe der westlichen Flotten erzählten. »Viele Bewohner verloren den Kopf und wussten nicht, was sie tun sollten«, erinnerte sich Nikolai Michno, der in Simferopol, der Verwaltungshauptstadt der Halbinsel, wohnte. »Andere packten so rasch wie möglich ihre Sachen, um die Krim zu verlassen … Sie stellten erschreckende Mutmaßungen darüber an, dass die Alliierten geradewegs nach Simferopol, das sich nicht verteidigen könne, weitermarschieren würden.« 5
    Dieses Gefühl der Schutzlosigkeit verstärkte die panische Flucht.

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