Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
»Die Reichweite unserer Kanonen genügt nicht, und wir fügen unseren Schießscharten größeren Schaden zu als dem Feind … Ich habe allen Offizieren eingeschärft, dass es notwendig ist, langsam und stetig zu feuern … aber die Entfernungen sind zu groß … und wir könnten genauso gut auf einen Pudding schießen wie auf diese Erdwälle.« 18
Das gescheiterte Bombardement des ersten Tages bedeutete ein böses Erwachen für die Alliierten. »Die Stadt scheint aus feuerfestem Material gebaut zu sein«, schrieb Fanny Duberly, die als Kriegstouristin mit ihrem Mann Henry, dem Zahlmeister der 8. Husaren, auf die Krim gekommen war. »Wo sie gestern zweimal ein wenig Feuer gefangen hatte, wurden die Flammen fast sofort gelöscht.« 19
Auf russischer Seite hatte der erste Tag den Nimbus der alliierten Heere zerstört, den sie durch ihren Sieg an der Alma erworben hatten. Plötzlich schien der Feind nicht mehr unbesiegbar zu sein, was die Russen neue Hoffnung und neues Selbstvertrauen schöpfen ließ. »Wir alle dachten, es sei unmöglich, dass unsere Batterien uns retten würden«, schrieb ein Bewohner von Sewastopol am folgenden Tag in einem Brief. »Also stelle man sich unsere Überraschung vor, als wir heute sämtliche Batterien unversehrt und alle Kanonen an Ort und Stelle vorfanden! … Gott hat Russland gesegnet und uns für die Beleidigungen belohnt, die unser Glaube erlitten hat!« 20
* * *
Nachdem die Russen die Beschießung des ersten Tages überlebt hatten, beschlossen sie, die Belagerung zu durchbrechen, indem sie Balaklawa angriffen und die Briten von ihrer Hauptnachschubbasis abschnitten. Nach der Schlacht an der Alma war Menschikow in Richtung Bachtschisserai marschiert, doch nun, im Zuge der neuen Strategie, konzentrierte er seine Männer im Tschornaja-Tal östlich von Sewastopol, wo die ersten Verstärkungen von der Donaufront, nämlich in Gestalt der 12. Infanteriedivision unter Generalleutnant Pawel Liprandi, zu ihnen stießen. Am Abend des 24. Oktober lagerte eine Feldarmee von 60 000 Mann, 34 Kavallerieschwadronen und 78 Geschützen bei dem Dorf Tschorgun auf den Fedjuchin-Höhen, um die britischen Verteidigungsstellungen in Balaklawa am folgenden Morgen anzugreifen.
Das Ziel war gut gewählt. Wie die Briten selbst wussten, waren ihre Linien stark überdehnt, und sie besaßen kaum eine Möglichkeit, ihre Nachschubbasis vor einem raschen Ansturm durch eine große Streitmacht zu schützen. Die Briten hatten insgesamt sechs kleine Redouten an einem Teil der Causeway-Höhen entlang gebaut. Hier befand sich die Kammlinie der Woronzow-Straße, welche die nördliche Hälfte des Balaklawa-Tals zwischen den Fedjuchin-Höhen und der Straße einerseits von der südlichen Hälfte zwischen der Straße und dem eigentlichen Hafen andererseits trennte. Jede der vier fertiggestellten Redouten enthielt eine türkische Wache (hauptsächlich aus unerfahrenen Rekruten) mit zwei oder drei 12-Pfündern. Hinter den Verschanzungen, in der Südhälfte des Tals, hatten die Briten die 93. Hochland-Infanteriebrigade unter dem Kommando von Sir Colin Campbell aufgestellt, der für die Verteidigung des Hafens zuständig war. An ihrer Flanke lagerte die Kavalleriedivision von Lord Lucan, und auf den Anhöhen über der Schlucht, die zum Hafen hinabführte, befanden sich 1000 Marineinfanteristen mit einigen Feldgeschützen. Im Falle eines Angriffs durch die Russen konnte Campbell außerdem auf die britische Infanterie sowie auf zwei französische Divisionen unter General Bosquet zurückgreifen, die auf den Anhöhen oberhalb von Sewastopol warteten, doch vor ihrer Ankunft würde die Verteidigung Balaklawas von 5000 Soldaten abhängen. 21
Bei Tagesanbruch am 25. Oktober begannen die Russen ihre Attacke. Von einer Feldbatterie in der Nähe des Dorfes Kamara leiteten sie ein schweres Bombardement der Redoute Nr. 1 auf Canroberts Hügel ein (den die Briten zu Ehren des französischen Befehlshabers so benannt hatten). In der Nacht war Raglan von einem russischen Deserteur vor einem bevorstehenden Angriff gewarnt worden, doch nachdem er nur drei Tage zuvor infolge eines Fehlalarms 1000 Mann nach Balaklawa geschickt hatte, beschloss er, untätig zu bleiben (ein weiterer grober Fehler, der ihm anzulasten ist). Immerhin erreichte er die Sapun-Höhen rechtzeitig, um einen hervorragenden Ausblick auf die Kämpfe im Tal zu erhalten, nachdem man sein Hauptquartier am Anfang der Offensive benachrichtigt hatte.
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