Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
hielten jedoch Ausschau, um uns vor Schüssen zu warnen. Dazu beobachteten sie tagsüber den Rauch und nachts das Blitzen der Kanonen und riefen: »Schuss!« Dann legten sich alle in den Gräben hin und gingen in die Deckung der Brustwehr, bis es vorbei war, wonach sie ihre Arbeit fortsetzten. Auf diese Weise verloren wir während des Tages nur einen einzigen Mann; er wurde durch eine Kanonenkugel getötet. 12
Am 16. Oktober beschloss man endlich, am folgenden Morgen die Bombardierung von Sewastopol zu beginnen, obwohl die britischen Verschanzungen noch nicht ganz vollendet waren. Im alliierten Lager herrschte optimistische Erwartung. »Alle Artillerieoffiziere – Franzosen, Engländer und Marine – meinen, [dass] nach 48-stündigem Feuer kaum mehr als ein Haufen Ruinen von Sewastopol übrig sein wird«, teilte Henry Clifford, ein Stabsoffizier der Leichten Division, seiner Familie mit. Laut Evelyn Wood, einem Seekadetten, der die Schlacht an der Alma von der Stenge seines Schiffes beobachtet hatte, bevor er zum Landangriff mit der Marinebrigade versetzt wurde,
setzte man am 16. Oktober in unserem Lager hohe Quoten darauf, dass die Festung in ein paar Stunden fallen würde. Einige der älteren und besonneneren Offiziere schätzten, dass die Russen 48 Stunden standhalten würden, aber das war die extreme Ansicht. Ein Soldat bot mir eine in Paris hergestellte Uhr an, die er einem an der Alma getöteten russischen Offizier abgenommen hatte. Dafür verlangte er 20 Schilling. Meine Kameraden hielten mich davon ab, sie zu kaufen, da Golduhren in 48 Stunden billiger sein würden. 13
Sobald sich der Nebel gelichtet hatte, sahen die Russen im Morgengrauen des 17. Oktober, dass die Schießscharten der feindlichen Batterien geöffnet worden waren. Ohne abzuwarten, bis der Feind das Feuer eröffnete, beschossen sie den Gegner entlang der Linie mit Granaten, und kurz danach begann das alliierte Bombardement mit 72 britischen und 53 französischen Geschützen. Innerhalb von Minuten hatte die Schlacht ihren Höhepunkt erreicht. Das Dröhnen der Kanonen, das Brüllen und Pfeifen der Kugeln und die ohrenbetäubenden Explosionen der Granaten übertönten die Hornsignale und Trommeln. Sewastopol war komplett in einer dichten schwarzen Rauchwolke verschwunden, die über dem ganzen verdunkelten Schlachtfeld hing und es den alliierten Richtschützen unmöglich machte, ihr Ziel mit militärischer Präzision zu treffen. »Nach wenigen Augenblicken war Alles in Dampf gehüllt, so daß wir uns mit der Hoffnung auf einen guten Erfolg trösten mußten«, schrieb Calthorpe, der den Beschuss zusammen mit Raglan aus einem Steinbruch auf dem Woronzow-Hügel beobachtete. 14
Für Tausende von Zivilisten, die in den ausgebombten Ruinen ihrer Behausungen in Sewastopol Zuflucht suchten, waren dies die furchtbarsten Momente ihres Lebens. »So etwas hatte ich nie zuvor gesehen oder gehört«, schrieb einer der Bewohner. »Zwölf Stunden lang setzte sich das wilde Heulen der Bomben fort. Es war unmöglich, sie zu unterscheiden, und der Boden bebte unter unseren Füßen … Ein dichter Rauch erfüllte den Himmel und verdunkelte die Sonne; es wurde so finster wie nachts; sogar die Zimmer waren voller Rauch.« 15
Bei Beginn der Bombardierung hatte sich Kornilow mit seinem Flaggleutnant Fürst W. I. Barjatinski zu einer Inspektion der Verteidigungsanlagen aufgemacht. Als Erstes besuchten sie die Vierte Bastion, die am stärksten gefährdete Stelle in Sewastopol, die sowohl von den Briten als auch von den Franzosen beschossen wurde. »Innerhalb der Bastion Nr. 4«, erinnerte sich Barjatinski, »war das Bild verheerend und die Zerstörung enorm, denn das Granatfeuer hatte ganze Geschützmannschaften niedergestreckt; die Verwundeten und Toten wurden von Krankenträgern entfernt, aber viele lagen noch herum.« Kornilow trat an jede Kanone heran, ermutigte die Mannschaft und begab sich dann zur Fünften Bastion, die genauso hohem Druck durch die Artillerie des Feindes ausgesetzt war. Dort traf er Nachimow, der wie immer einen Frack mit Epauletten trug. Nachimow war im Gesicht verletzt, was er laut Barjatinski jedoch nicht zu bemerken schien, obwohl ihm Blut am Hals hinunterlief und, während er mit Kornilow sprach, das weiße Band seines Georgskreuzes befleckte. Barjatinski erkannte einen sich nähernden Offizier, obgleich »er keine Augen und kein Gesicht mehr hatte, sie verschwanden völlig unter einer Masse blutigen Fleisches«. Dies waren die Überreste
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