Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Feind daran gehindert wurde, uns von dorther zu umgehen. Hin und wieder rannten ein paar russische Soldaten, abenteuerlustiger als ihre Kameraden, auf unsere kompakte Gruppe zu, woraufhin zwei oder drei unserer Grenadiere mit dem Bajonett vorsprangen und sie zu einem stetigen Rückzug nötigten. Trotzdem war unsere Situation kritisch.
In diesem Moment erschienen Bosquets Männer auf dem Kamm. Noch nie war Engländern der Anblick von Franzosen so willkommen gewesen. Die Gardisten jubelten und riefen: »Vivent les Français!«, und diese erwiderten: »Vivent les Anglais!« 54
Verblüfft über die Ankunft der Franzosen, wichen die Russen zum Granatenhügel zurück und versuchten, sich neu zu ordnen. Aber ihre Moral war dahin, und sie glaubten, keine Chance gegen die Briten und Franzosen zu haben. Viele nutzten den Nebel, um der Aufmerksamkeit ihrer Offiziere zu entgehen, und liefen davon. Eine Zeitlang hoffte Dannenberg, mit seiner Artillerie siegen zu können, denn er verfügte über fast 100 Kanonen, darunter 12-Pfünder-Feldgeschütze und Haubitzen (mehr als die Briten am Heimatkamm). Doch um 9.30 Uhr trafen die beiden schweren 18-Pfünder, die Raglan angefordert hatte, endlich ein und eröffneten das Feuer auf den Granatenhügel. Ihre gewaltigen Kugeln pflügten durch die russischen Batterien und zwangen deren Artillerie, das Feld zu räumen. Die Russen waren jedoch noch nicht geschlagen. Sie hatten 6000 Mann, die bis dahin nicht zum Einsatz gekommen waren, auf den Anhöhen und doppelt so viele in Reserve am anderen Flussufer. Einige setzten ihre Angriffe fort, doch ihre vorrückenden Kolonnen wurden von den schweren britischen Geschützen niedergemäht.
Schließlich gab Dannenberg seine Bemühungen auf und ließ zum Rückzug blasen. Er musste sich den wütenden Protesten Menschikows und der Großfürsten stellen, die das Gemetzel aus einer sicheren Warte 500 Meter hinter dem Granatenhügel beobachtet hatten und Dannenberg aufforderten, erneut anzugreifen. Dieser erklärte Menschikow: »Hoheit, die Soldaten hier anhalten zu lassen, würde bedeuten, dass sie bis zum letzten Mann vernichtet werden. Wenn Eure Hoheit anderer Meinung sind, dann gebt den Befehl bitte selbst und nehmt mir das Kommando ab.« Der Austausch markierte den Beginn eines langen, erbitterten Streits zwischen den beiden Männern, die einander nicht ausstehen konnten. Sie machten sich gegenseitig für die Niederlage bei Inkerman verantwortlich – eine Schlacht, in der die Russen dem Feind an Zahl weit überlegen gewesen waren. Menschikow gab Dannenberg die Schuld, Dannenberg beschuldigte den gefallenen Soimonow, und alle lasteten den gemeinen Soldaten Disziplinlosigkeit und Feigheit an. Doch letztlich war die Unordnung die Folge einer fehlenden Befehlsstruktur; deshalb trifft die Schuld Menschikow, den Oberbefehlshaber, der völlig die Nerven verlor und der Aktion fernblieb. Großfürst Nikolai, der Menschikow durchschaute, schrieb seinem älteren Bruder Alexander, der bald den Zarenthron besteigen würde:
Wir [die beiden Großfürsten] hatten bei der Inkerman-Brücke auf Fürst Menschikow gewartet, aber er kam erst um 6.30 Uhr aus seinem Haus, als unsere Soldaten bereits die erste Stellung erobert hatten. Wir blieben unablässig bei dem Fürsten an der rechten Flanke, und kein einziges Mal schickte irgendeiner der Generale ihm einen Bericht über den Verlauf der Schlacht … Die Männer waren ungeordnet, weil sie schlecht geführt wurden … Die Unordnung ging von Menschikow aus. So erstaunlich es sich anhören mag: Menschikow hatte überhaupt kein Hauptquartier, sondern nur drei Männer, die solche Pflichten auf eine Art erfüllten, die jeden, der etwas erfahren wollte, rätseln ließ, an wen er sich wenden sollte. 55
Nachdem die Russen den Befehl zum Rückzug erhalten hatten, flohen sie in Panik vom Schlachtfeld. Ihre Offiziere waren nicht in der Lage, die menschliche Lawine aufzuhalten, während britische und französische Artillerie in den Rücken der Russen feuerte. »Sie waren außer sich vor Angst«, meinte ein französischer Offizier. »Es war keine Schlacht mehr, sondern ein Massaker.« Die Russen wurden nun zu Hunderten umgemäht oder niedergetrampelt, als sie zur Brücke hinunterliefen und versuchten, sie zu überqueren oder durch den Fluss zur anderen Seite zu schwimmen. 56
Einige Franzosen verfolgten sie, und rund ein Dutzend Männer von der Lourmel-Brigade drang sogar in Sewastopol ein. In ihrem Jagdeifer merkten sie gar nicht,
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