Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
Vom Netzwerk:
dass sie allein waren, da ihre Kameraden längst den Rückweg eingeschlagen hatten. Die Straßen von Sewastopol waren so gut wie leer, denn die gesamte Bevölkerung befand sich entweder auf dem Schlachtfeld oder hielt an den Bastionen Wache. Die Franzosen zogen durch die Stadt, plünderten Häuser und liefen zum Kai, wo Zivilisten, die glaubten, dass der Feind den Durchbruch geschafft habe, von Panik erfasst wurden und flohen. Die französischen Soldaten hatten nicht weniger Angst. Sie ruderten mit dem ersten Boot, das sie finden konnten, aufs Meer hinaus, doch gerade als sie Fort Alexander umrundeten, wurden sie Opfer eines Volltreffers von der Quarantäne-Batterie. Die Geschichte der Lourmel-Soldaten inspirierte die französische Armee während der langen Belagerung und nährte den Glauben, dass Sewastopol durch einen einzigen kühnen Angriff erobert werden könne. Nach Ansicht vieler zeigte ihre Geschichte, dass die alliierten Armeen den Moment hätten nutzen können und sollen, als die Russen die Hänge von Inkerman hinunterrannten, um sie zu verfolgen und wie jene kühnen Männer in die Stadt zu marschieren. 57
    Die Russen verloren etwa 12 000 Soldaten auf dem Schlachtfeld von Inkerman. Die Briten verzeichneten 2610, die Franzosen 1726 Gefallene. Es war eine entsetzliche Zahl von Toten in nur vier Stunden des Kampfes – eine Verlustrate, die sich fast mit jener der Schlacht an der Somme vergleichen ließ. Die Toten und Verwundeten lagen in Haufen übereinander, und überall waren von Granaten zerrissene Körperteile verstreut. Der Kriegskorrespondent Nicholas Woods bemerkte:
    Einigen war der Kopf, wie mit einer Axt, am Hals abgetrennt worden; anderen fehlten die Beine von den Hüften ab, noch anderen die Arme, und manche, die Brust- oder Bauchschüsse erhalten hatten, waren so zerschmettert, als wären sie von einer Maschine zermalmt worden. Quer über den Pfad lagen, Seite an Seite, fünf [russische] Gardisten, ****** die durch eine einzige Kanonenkugel getötet worden waren, als sie vorrückten, um den Feind anzugreifen. Sie lagen in der gleichen Haltung auf dem Gesicht, umklammerten ihre Musketen mit beiden Händen, und alle hatten die gleiche grimmige, schmerzvolle Miene.
    Louis Noir dachte, die russischen Toten, die zumeist von Bajonetten durchbohrt worden waren, seien mit »wütendem Hass im Gesicht« gestorben. Auch Jean Cler ging zwischen den Verwundeten und Toten durch.
    Einige lagen noch im Sterben, doch überwiegend waren sie tot, hingestreckt in heillosem Durcheinander. Arme waren über der Masse gelben Fleisches erhoben, als flehten sie um Mitleid. Die Toten, die auf dem Rücken lagen, hatten gewöhnlich die Hände vorgestreckt, entweder weil sie die Gefahr abwehren oder weil sie um Gnade bitten wollten. Alle trugen an Halsketten Medaillons oder kleine Kupferbehälter mit Bildern der Heiligen.
    Unter den Toten begraben lagen auch einige noch lebende Männer, die verwundet und dann von später niedergestreckten Körpern bedeckt worden waren. »Manchmal konnte man hören, wie Männer unter einem Menschenstapel noch atmeten«, schrieb André Damas, ein französischer Armeegeistlicher. »Aber ihnen fehlte die Kraft, das Gewicht des Fleisches und der Knochen, die sie niederdrückten, hochzuheben; wenn ihr schwaches Stöhnen zu hören war, verstrichen lange Stunden, bevor sie geborgen werden konnten.« 58
    Generalmajor Codrington von der Leichten Division war entsetzt über die Plünderer, welche die Toten ausraubten. »Am abscheulichsten ist es, das Gefühl zu haben, dass die grässlichen Diebe, die Vagabunden des Schlachtfelds, dagewesen sind, Taschen umgekrempelt und Sachen aufgeschnitten haben, um nach Geld zu suchen, dass sie systematisch nach allen Wertsachen Ausschau gehalten haben – besonders Offiziere wurden wegen ihrer besseren Kleidung ausgezogen, wonach man ihnen irgendeinen Fetzen überwarf«, klagte er am 9. November. 59
    Die Alliierten brauchten mehrere Tage, um all ihre Toten zu begraben und die Verwundeten in Feldlazarette zu bringen. Die Russen benötigten viel länger. Menschikow hatte das Angebot einer Waffenruhe zur Räumung des Schlachtfelds ausgeschlagen, weil er sich sorgte, dass seine Soldaten beim Anblick so vieler Toter und Verwundeter auf ihrer Seite, verglichen mit den Verlusten des Feindes, demoralisiert werden und vielleicht sogar meutern könnten. Also blieben die russischen Toten und Verwundeten tage- und sogar wochenlang auf dem Schlachtfeld liegen. Cler stieß noch

Weitere Kostenlose Bücher