Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
fest, dass ihre Priester sie dazu angespornt hatten. Am Abend vor der Schlacht versicherten sie den russischen Soldaten in Gottesdiensten überall in Sewastopol, dass die Briten und Franzosen für den Teufel kämpften und gnadenlos getötet werden müssten, um die Zerstörung der Kirche des heiligen Wladimir zu rächen. 62
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Inkerman war für die Briten und Franzosen ein Pyrrhussieg. Sie hatten den bislang stärksten russischen Bemühungen widerstanden, sie von den Anhöhen um Sewastopol zu vertreiben, doch die Verluste waren so hoch, dass die Öffentlichkeit sie kaum tolerieren konnte, schon gar nicht, nachdem man von der mangelhaften Versorgung der Sterbenden und Verwundeten durch die Sanitätsdienste erfahren hatte. Als die Nachricht in die Heimat gelangte, kamen ernsthafte Fragen nach dem Sinn des gesamten Feldzugs auf. Infolge der schweren Verluste konnten die alliierten Heere erst dann eine neue Attacke auf die Verteidigungsanlagen von Sewastopol einleiten, wenn Verstärkung eintraf.
Auf einer gemeinsamen Planungskonferenz in Raglans Hauptquartier wurde am 7. November beschlossen, dass die Franzosen die Briten auf dem Mount Inkerman ablösen sollten – eine stillschweigende Anerkennung der Tatsache, dass sie nun zum Seniorpartner des Militärbündnisses geworden waren. Die Briten, die nur noch über 16 000 einsatzfähige Soldaten verfügten, sollten nicht mehr als ein Viertel der Schützengräben um Sewastopol besetzen. Auf derselben Konferenz verlangte Canrobert, alle Pläne für einen Angriff auf Sewastopol bis zum folgenden Frühjahr zu vertagen, wenn die Alliierten genug Verstärkungen haben würden, um das russische Verteidigungssystem zu überwinden, das nicht nur dem ersten alliierten Bombardement standgehalten hatte, sondern seitdem auch erheblich stabilisiert worden war. Der französische Befehlshaber argumentierte, dass die Russen eine große Anzahl frischer Einheiten herangeholt und ihre Streitkräfte in Sewastopol auf 100 000 Mann erhöht hätten (in Wirklichkeit besaßen sie nach Inkerman kaum noch halb so viele). Seine Befürchtung war, dass die Russen in der Lage sein würden, ihre Befestigungsanlagen weiter zu verbessern, »solange die österreichische Haltung gegenüber der Orientalischen Frage Russland gestattet, beliebig viele Soldaten von Bessarabien und Südrussland zur Krim zu entsenden«. Bevor die Franzosen und Briten kein Militärbündnis mit den Österreichern geschlossen und »sehr zahlreiche Verstärkungen« auf die Krim geschickt hätten, sei es nicht sinnvoll, durch die Belagerung noch mehr Leben zu verlieren. Raglan und sein Stab stimmten Canrobert zu. Danach stellte sich die Frage, wie man Vorbereitungen dafür treffen konnte, dass die alliierten Soldaten auf den Anhöhen oberhalb von Sewastopol überwinterten, denn sie hatten nur leichte Zelte bei sich, die sich lediglich für einen Sommerfeldzug eigneten. Canrobert war der Meinung – und die Briten schlossen sich seinem Standpunkt an – , dass »die Soldaten den Winter hier mit Hilfe eines einfachen Steinunterbaus unter den Zelten verbringen können«. Rose pflichtete ihm bei. »Das Klima ist gesund«, erklärte er Clarendon, »und mit Ausnahme kühler Nordwinde ist die Kälte im Winter nicht erheblich.« 63
Die Aussicht, in Russland zu überwintern, erfüllte viele mit einer dunklen Vorahnung, denn sie dachten an Napoleon im Jahr 1812. De Lacy Evans drängte Raglan, die Belagerung von Sewastopol aufzugeben und die britischen Soldaten abzuziehen. Der Herzog von Cambridge schlug vor, sie nach Balaklawa zu verlagern, wo sie leichter versorgt und besser vor der Kälte geschützt werden könnten als auf den Hügeln über Sewastopol. Raglan lehnte die Vorschläge ab und beschloss, die Armee während der Wintermonate auf den Anhöhen zu belassen – eine skandalöse Entscheidung, die den Rücktritt von Evans und Cambridge auslöste. Beide kehrten vor Anbruch des Winters bedrückt und desillusioniert nach England zurück. Ihnen folgten daraufhin regelmäßig weitere britische Offiziere. In den beiden Monaten nach Inkerman machten sich 225 der 1540 Offiziere auf der Krim in wärmere Gefilde auf; nur 60 von ihnen sollten zurückkehren. 64
Für die einfachen Soldaten war die Erkenntnis, dass es keinen raschen Sieg geben würde, noch demoralisierender. »Warum haben wir keinen kühnen Angriff geführt, nachdem wir durch den Sieg an der Alma angespornt waren?«, fragte Oberstleutnant Mundy vom 33. Fußregiment. Er schilderte
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