Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Tscherkessien zu vertreiben. Am 11. Juni meldete Stratford Canning dem Foreign Office, er habe die Hohe Pforte bewogen, »einen Firman über die tscherkessische Unabhängigkeit für den Fall der Verdrängung der Russen aus ihrem Land herauszugeben« (ein zweifelhafter Plan in dieser durch komplexe Stammesbeziehungen geprägten Gegend). Mittlerweile war Longworth selbst in Tscherkessien eingetroffen und hatte berichtet, dass die Gebirgsstämme gut mit Minié- und Jagdgewehren ausgerüstet seien. Der britische Agent war der Meinung, die Tscherkessen könnten unter türkischer Führung auf der Kuban-Ebene gegen Russland kämpfen. Mustafa Pascha, der Oberbefehlshaber der türkischen Streitkräfte in Batumi, habe sich mit den tscherkessischen Stammesführern getroffen und sei »gewissermaßen zum Generalgouverneur von Tscherkessien geworden«, meldete Longworth. Gerüchten zufolge stellte Mustafa eine riesige Tscherkessenarmee von 60 000 Mann auf, um vom Kaukasus her in Südrussland einzufallen. Longworth befürchtete allerdings, dass die Osmanen die Situation ausnutzten, um ihre Machtposition im Kaukasus wiederzugewinnen, und forderte die Briten auf, ihnen entgegenzutreten. Die lokalen Paschas machten sich ihre neuerlichen Beziehungen zur Hohen Pforte zunutze, um auf despotische Art zu herrschen, und dies habe zur Entfremdung vieler Stämme von den Briten und Franzosen, den Verbündeten der Türken, geführt. Longworth sprach sich auch deshalb gegen das Vorhaben aus, Schamils Bewegung zu unterstützen, weil sie von islamischen Fundamentalisten infiltriert worden sei, insbesondere von Schamils Emissär (Naib) in Tscherkessien, Muhammed Emin, der gelobt hatte, sämtliche Christen aus dem Kaukasus zu verjagen; außerdem hatte er Schamils Anhängern jedweden Kontakt zu Nichtmuslimen untersagt. Laut Longworth plante der Naib, »ein Feudalreich auf den Prinzipien des islamischen Fanatismus« aufzubauen. Longworths Vorbehalte gegenüber Schamil wurden von vielen Orientexperten im Londoner Außenministerium geteilt. Sie warnten vor dem Einsatz muslimischer Streitkräfte (vornehmlich der Türken) gegen die Russen in Georgien und Armenien, weil nur eine europäische Armee wirkliche Autorität bei der dortigen christlichen Bevölkerung ausüben könne. 15
Da sie nicht ihre eigenen Kräfte in den Kaukasus entsenden wollten und gleichzeitig nicht bereit waren, sich auf muslimische Soldaten zu stützen, verschoben Briten und Franzosen eine Entscheidung über ihre Taktik in dieser wichtigen Gegend. Mit effektiveren Truppen im Kaukasus hätten die Alliierten Russland womöglich einen rascheren und vernichtenderen Schlag versetzen können als durch die elf Monate dauernde Belagerung von Sewastopol. Aber sie waren zu vorsichtig, um dieses Potenzial zu nutzen.
Die Alliierten setzten zudem große Hoffnung auf die Kampagne in der Ostsee, die im Frühjahr fortgesetzt wurde. Da man nun eine neue Flotte aus Dampfern und schwimmenden Geschützbatterien sowie einen neuen Befehlshaber, Konteradmiral Sir Richard Dundas, anstelle von Napier besaß, der weithin für das angebliche Scheitern des Feldzugs von 1854 verantwortlich gemacht wurde, sprach man schon optimistisch von einer Eroberung Kronstadts und Sveaborgs – der russischen Festungen, die Napier versäumt hatte anzugreifen – und dann von einer Bedrohung St. Petersburgs. Der Marinevermesser und Hydrograf, der mit der Planung betraut wurde, war Kapitän Bartholomew Sulivan, der Charles Darwin auf der Beagle -Expedition begleitet hatte. Sulivan schloss aus seinen vorläufigen Recherchen, dass die Festungen auch nur mit Schiffen, ohne Einsatz von Bodentruppen, ausgeschaltet werden konnten. Als Clarendon Anfang März nach Paris reiste, um Napoleon von dessen Plan abzubringen, sich zur Krim aufzumachen, nahm er Sulivans Bericht mit. Das Papier fand Anklang beim Kaiser, der die Entscheidung, Kronstadt 1854 nicht anzugreifen, für eine Schande gehalten hatte. Wie die Briten glaubte Napoleon, dass die Einnahme von Kronstadt die Schweden dazu bringen würde, sich dem Bündnis gegen Russland anzuschließen.
Die ersten britischen Kriegsschiffe stachen am 20. März von Spithead in See; weitere folgten zwei Wochen später. Die französische Flotte unter Admiral Pénaud erreichte die Ostsee am 1. Juni. In dem vergeblichen Bemühen, die alliierte Blockade des russischen Handels zu verstärken – eine Blockade, die via Deutschland umgangen wurde – , zerstörte die britische Flotte mehrere russische
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