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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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könnte, zu ändern. Für sehr geistreich halte ich ihn nicht, und sein Geist ist ohne Kultur; seine Erziehung ist vernachlässigt worden; Politik und militärische Angelegenheiten sind das einzige, für das er sich interessiert; für die Künste und alle friedlichen Beschäftigungen hat er keinen Sinn, aber er ist aufrichtig, ich bin dessen sicher, aufrichtig selbst bei seinen despotischen Handlungen, weil er der Ansicht ist, daß dies die einzige Art sei, zu regieren.
    Lord Melbourne, einer der russenfeindlichsten Whigs, kam bei einem Frühstück in Chiswick House, dem Mittelpunkt des Whig-Establishments, sehr gut mit Nikolaus aus. Sogar Palmerston, der frühere außenpolitsche Sprecher der Whigs, der für seinen harten Kurs gegenüber Russland bekannt war, hielt es für wichtig, dass dem Zaren ein »vorteilhafter Eindruck von England« vermittelt wurde: »Er ist sehr mächtig und könnte zu unseren Gunsten handeln oder uns Schaden zufügen, je nachdem, ob er uns wohlgesinnt ist oder uns feindselige Gefühle entgegenbringt.« 8
    Während seines Aufenthalts in England führte der Zar eine Reihe politischer Gespräche mit der Königin und Prinz Albert sowie mit Peel und Aberdeen. Die Briten waren überrascht über seine Freimütigkeit. Die Königin hielt ihn sogar für »zu freimütig, denn er spricht so offen vor anderen Menschen, was er nicht tun sollte, und zügelt sich nur mühsam«, wie sie Leopold schrieb. Der Zar war zu dem Schluss gelangt, dass Offenheit die einzige Methode sei, um das Misstrauen und die Vorurteile der Briten gegenüber Russland zu überwinden. »Ich weiß, man hält mich für einen Schauspieler«, erklärte er Peel und Aberdeen, »aber ich bin es nicht; ich bin aufrichtig, sage, was ich meine, und halte mein Wort.« 9
    Zur Frage Belgiens ließ der Zar wissen, dass er seine Beziehungen zu Leopold gern verbessern würde, doch »solange polnische Offiziere im Dienst des Königs stehen, ist dies ganz unmöglich«. Beim Meinungsaustausch mit Aberdeen, »nicht als Kaiser mit einem Minister, sondern wie zwei Gentlemen«, erläuterte er seine Denkweise und äußerte Groll über die westliche Doppelmoral im Hinblick auf Russland:
    Die Polen rebellierten und rebellieren noch gegen meine Herrschaft. Wäre es akzeptabel für einen Gentleman, Menschen in den Dienst zu nehmen, die sich der Rebellion gegen seinen Freund schuldig gemacht haben? Leopold nahm diese Rebellen unter seine Fittiche. Was würden Sie sagen, wenn ich der Gönner von O’Connell [dem irischen Unabhängigkeitsführer] würde und daran dächte, ihn zu meinem Minister zu machen?
    Was Frankreich anbelangte, so wünschte Nikolaus, dass Großbritannien zusammen mit Russland eine Eindämmungspolitik betrieb. In Anspielung an den britischen Argwohn gegenüber den Franzosen nach den Napoleonischen Kriegen ließ er Peel und Aberdeen wissen, dass Frankreich »nie wieder die Möglichkeit haben sollte, Unordnung zu stiften und seine Heere über seine Grenzen hinaus marschieren zu lassen«. Er hoffte, Großbritannien und Russland könnten durch ihre gemeinsamen Interessen gegenüber Frankreich zu Verbündeten werden. »Durch persönlichen Verkehr hoffe ich jene Vorurtheile zu vernichten«, betonte er. »Denn ich achte England hoch, was aber die Franzosen von mir sagen, achte ich nicht. I spit upon it (ich speie darauf).« 10
    Vor allem ging Nikolaus auf die britische Sorge über die französische Politik im Nahen Osten ein – dies war das Hauptthema seiner Gespräche mit Peel und Aberdeen. »Die Türkei ist ein Sterbender«, erklärte er ihnen.
    Wir mögen suchen sie am Leben zu erhalten, aber es wird uns nicht gelingen. Sie wird, sie muß sterben. Das wird ein kritischer Moment. Ich sehe voraus, ich werde meine Armeen marschieren lassen müssen. Dann wird Östreich dasselbe thun. Ich fürchte dabei niemand als Frankreich. Was wird es wollen? Ich fürchte viel: in Afrika, im mittelländischen Meere, im Orient selbst. Erinnern Sie sich der Expedition nach Ancona [1832]? Warum sollte es nicht ähnliche nach Candia [Kreta], nach Smyrna machen? Muß in solchen Fällen England nicht mit seiner ganzen Seemacht auf dem Platze sein? Also eine russische Armee, eine östreichische, eine große englische Flotte in jenen Gegenden! So viele Pulverfässer in der Nähe des Feuers!
    Der Zar vertrat den Standpunkt, dass es für die europäischen Mächte, vornehmlich für Russland und Großbritannien, an der Zeit sei, einzugreifen und die Teilung der türkischen

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