Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
1848 sogar eine Kampagne mit dem Ziel an, ihn wegen seiner nicht hinreichend aggressiven Politik gegenüber Russland des Amtes zu entheben. In einer fünfstündigen Rede im Unterhaus hielt Urquharts Hauptverbündeter, der Abgeordnete Thomas Anstey, Palmerston eine schändliche Außenpolitik vor, welche die nationale Sicherheit Großbritanniens gefährde, da sie die Freiheit Europas nicht gegen russische Feindseligkeit verteidige. Anstey bezog sich insbesondere auf die konstitutionellen Freiheiten Polens, deren Aufrechterhaltung auf dem Wiener Kongress von 1815 von den anderen Mächten zur Bedingung dafür gemacht worden war, dass sie das polnische Königreich der Protektion des Zaren unterstellten. Durch Russlands brutale Niederschlagung des Warschauer Aufstands von 1831, erklärte Anstey, sei Großbritannien die Verpflichtung auferlegt worden, in Polen zugunsten der Rebellen einzugreifen, selbst auf das Risiko hin, einen europäischen Krieg gegen Russland zu riskieren. Palmerston erwiderte, es sei unrealistisch gewesen, die Polen mit Waffengewalt zu unterstützen. Gleichzeitig legte er die allgemeinen Prinzipien des liberalen Interventionismus dar, auf die er sich für den britischen Eintritt in den Krimkrieg erneut berufen sollte:
Ich meine, dass es die wirkliche Politik Englands ist – abgesehen von Fragen, die seine eigenen politischen oder geschäftlichen Interessen betreffen –, Vorkämpfer von Recht und Gerechtigkeit zu sein; diesen Kurs mit Mäßigung und Besonnenheit zu verfolgen, nicht zum Quixote der Welt zu werden, sondern das Gewicht seiner moralischen Sanktion und Hilfe dort einzusetzen, wo immer es die Gerechtigkeit vermutet und wo immer seiner Ansicht nach Unrecht begangen worden ist. 20
Urquharts Russophobie mag im Konflikt mit der britischen Außenpolitik der vierziger Jahre gestanden haben, doch sie fand erheblichen Zuspruch im Parlament, wo eine mächtige Lobby seinen Forderungen nach einem härteren Kurs gegenüber Russland beipflichtete – darunter Lord Stanley und Stratford Canning, der Ponsonby 1842 als Botschafter in Konstantinopel ablöste. Außerhalb des Parlaments fand Urquhart durch seinen Einsatz für den Freihandel (das wichtigste Reformproblem der vierziger Jahre) zahlreiche Bewunderer unter Geschäftsleuten aus den Midlands und dem Norden Englands. Diese Männer konnte er durch seine häufigen öffentlichen Reden davon überzeugen, dass die russischen Zölle eine Hauptursache der Wirtschaftsflaute Großbritanniens seien. Zudem war er in der Lage, sich auf einflussreiche Diplomaten und Schriftsteller zu stützen, darunter Henry Bulwer, Sir James Hudson und Thomas Wentworth Beaumont, Mitbegründer der British and Foreign Review , die durch Urquharts Einwirkung immer feindseliger gegenüber Russland wurde.
Im Lauf des Jahrzehnts war sogar in den gemäßigtsten intellektuellen Kreisen eine wachsende Russlandfeindlichkeit festzustellen. Anspruchsvolle Zeitschriften wie die Foreign Quarterly Review , welche die »schwarzseherischen« Warnungen vor einer russischen Gefahr für die Freiheit Europas und für die britischen Interessen im Orient vorher abgetan hatte, wurden nun ebenfalls von der antirussischen Stimmung ergriffen. Was die breitere Öffentlichkeit – in Kirchen, Gasthäusern, Vorlesungssälen und auf Chartistenversammlungen *** – anging, so wurde die Feindseligkeit gegenüber Russland rasch zu einem zentralen Bezugspunkt im politischen Diskurs über Freiheit, Kultur und Fortschritt, der dazu beitrug, die nationale Identität zu gestalten.
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Neben den Sympathien für die Türkei und den Ängsten um Indien schürte nichts in Großbritannien die Russophobie so sehr wie die polnische Sache. In ganz Europa von Liberalen als gerechter und edler Freiheitskampf gegen die russische Tyrannei befürwortet, war der polnische Aufstand – und seine brutale Niederwerfung – maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Briten in die Angelegenheiten des Kontinents einbezogen wurden und dass sich die Spannungen verschärften, die zum Krimkrieg führten.
Die Geschichte Polens hätte kaum qualvoller verlaufen können. Im vorhergehenden halben Jahrhundert war das große alte polnische Gemeinwesen (das Königreich Polen, vereinigt mit dem Großherzogtum Litauen) nicht weniger als dreimal geteilt worden: zweimal (1772 und 1795) von allen drei Nachbarmächten (Russland, Österreich und Preußen) und einmal (1742) von den Russen und Preußen mit der Begründung, dass Polen eine Bastion
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