Kris Longknife: Die Rebellin: Roman (German Edition)
auf denWeg machte. Die Frau mit dem Baby war ebenfalls noch hier. »Sie hat einen schlimmen Husten«, erklärte sie.
Kris blickte sich abschließend in dem einen Zimmer des Häuschens um. Überall lagen leere Lebensmittelkartons, Impffläschchen und sonstiger Abfall eines eiligen Aufbruchs herum. Sämtliche Decken und Laken waren vom Bett gezogen und dafür benutzt worden, die Kranken wegzutragen. Wenn es hier stank, dann war Kris’ Nase längst darüber hinaus. Sie nahm die Lampe vom Esstisch zur Hand, wandte sich um und folgte der Mutter und ihrem Kind. Sie standen bis zu den Knöcheln im Wasser, als sie von der Veranda stiegen. Kris folgte Karen und der alten Frau; sie schienen den Weg zu kennen. Als sie am Stacheldrahtzaun eintrafen, reichte das Wasser dort Kris bis an die Knie und wies eine Strömung auf. Kris legte einen Arm um die Schultern der Mutter und packte mit der anderen den Draht. Die Mutter drückte die Kleine mit beiden Armen fest an sich.
Am tiefsten Punkt angelangt, wurde klar, dass die alte Frau ein Problem hatte. Sie war so klein, dass ihr das Wasser bis zu den Schultern reichte. »Bleiben Sie hier«, wies Kris ihren Schützling an und half erst einmal Karen. Sie hielten die alte Frau zwischen sich und brachten sie über die hundert Meter Wasser, die man inzwischen nur noch als einen Fluss bezeichnen konnte. Als schlaksiger Teenager hatte Kris bezweifelt, dass es für ein Mädchen einen Grund gab, einen Meter achtzig groß zu werden. In dieser Nacht wäre sie froh gewesen, wenn es noch zehn Zentimeter mehr gewesen wären.
Auf der anderen Seite angekommen, reichte Kris Karen die Lampe und kehrte sofort zurück. »Ich komme mit«, bot ihr Karen an.
»Nein, gehen Sie beide ans Pfadende weiter. Dort finden Sie noch immer ein Stück trockenen Bodens. Sehen Sie zu, dass Sie wieder trocken werden.«
»In diesem Regen?«, gackerte die Alte. »Sie träumen wohl!«Karen brachte ihren Schützling jedoch in Bewegung. Kris ließ sich mit der Rückkehr Zeit und weigerte sich zu glauben, die Strömung habe seit der letzten Durchquerung zugenommen oder dass das Wasser höher stand.
Erneut legte Kris der Mutter einen Arm um die Schultern und packte mit der anderen den obersten Zaundraht. »Geben Sie acht, wohin Sie die Füße setzen«, sagte sie der Mutter. Sie ließen sich Zeit und vergewisserten sich bei jedem Schritt erst, ob sie auch Halt unter den Füßen hatten. Kris zog gerade den hinteren Fuß nach, als die Frau neben ihr umfiel.
Innerhalb einer Sekunde war Kris klar, dass sie sie verlor. Sie packte blind zu und erwischte mit der Faust ein Stück vom Kragen der Jacke. Sie schloss die andere Hand fest um den Draht und erwischte dabei einen Stachel. Metall bohrte sich ihr tief in die Handfläche, aber Kris unterdrückte einen Schrei, der sie nur Atem gekostet hätte, während sie von der Mutter und deren Last in die Tiefe gezogen wurde.
Der Zaun war als Orientierungshilfe gedacht gewesen, nicht als Haltegriff. Unter der Last Kris’ und ihres Schützlings verlor der nächste Pfosten seinen Halt im schlammigen Boden. Kris bemühte sich, mit den Füßen Grund zu finden, den Kopf übers Wasser zu bekommen, Luft zu schnappen, sich am Draht festzuhalten, die Frau festzuhalten. Irgendwie schaffte sie das alles.
Als sie mit einem Fuß wieder Boden erreichte, war sie von der Strömung gut zwanzig Meter weit getragen worden. Die Hände am Draht und an der Mutter, wusste Kris nur zu gut, dass sie sich mit einem einzelnen Fuß nicht halten konnte, aber mehrere einbeinige Hüpfer, die sie zuwege brachte, ermöglichten ihr, den Kopf einen Augenblick lang über Wasser zu bekommen und Luft in die Lungen zu saugen.
Jetzt konzentrierte sie sich darauf, mit dem zweiten Fuß Grund zu erreichen. Sie hüpfte zweimal, und beide Füße sanken in den Schlamm. Trotzdem erwies sich die Strömung als zustark und die Mutter als zu schwer. Kris wurde noch drei Hüpfer weit von der Strömung mitgerissen, ehe sie ausreichend festen Grund fand, um standzuhalten. Sie streckte den Kopf aus dem Wasser, zog die Mutter heran und brachte auch deren Kopf hinaus in die Nachtluft.
»Kriegen Sie Luft?«, schrie Kris der anderen Frau ins Ohr.
»Ja.«
Ungeachtet der wilden Fahrt hielt sie ihr Kind nach wie vor über Wasser. »Das Baby?«
»Sie hustet.«
»Gut.« Kris wandte sich den tobenden Wassern entgegen. Sie pflanzte die Füße fest auf, lehnte sich in einem Winkel von fast fünfundvierzig Grad in die Strömung und zog sich mit
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