Kris Longknife: Die Rebellin: Roman (German Edition)
den Fingern der blutenden Hand den Stachel aus der Handfläche, ehe sie den Griff am Draht über eine Handbreite nach links verlagerte. Sie riskierte einen Schritt von wenigen Zentimetern zur Seite. Dann einen weiteren. Sie fuhr mit der Hand am nächsten Stachel entlang, fand einen guten Griff und bewegte sich ein paar Zentimeter weiter, prüfte dann, ob sie die andere Frau nach wie vor festhielt. Und wiederholte den Vorgang.
Das Wasser war kalt. Die fürchterlichen Schmerzen der blutenden Hand hörten auf. Das Problem bestand jetzt darin, auch sicherzustellen, dass das kalte Fleisch Draht und Kragen fest gepackt hielt. Sie zog die bleiernen Füße aus dem Schlamm und ging weiter. Vorsichtig! Vorsichtig! Ignoriere die Knoten in den Waden, die Schmerzen in den Schenkeln, die Taubheit, die sich im ganzen Körper ausbreitet.
Ein Monat verging, vielleicht ein Jahr, während Kris sich Schritt für Schritt einen Weg durch die tobende Strömung suchte. Ungeachtet der verstreichenden Zeitalter ging die Sonne nicht auf. Es fiel nicht einmal graues Licht auf Kris’ Bemühen.
Erst als das Wasser Kris nur noch an die Taille reichte, setzte sie die Frau hinter sich ab. »Danke«, sagte die Mutter atemlos.Das Baby nieste. Das war Dank genug für dieses ganze verdammte Unternehmen.
Es dauerte keine Woche mehr, um Wasser zu erreichen, das nur noch bis zu den Fußknöcheln reichte. Karen und Sam warteten schon auf sie. »Ich hatte mir Sorgen gemacht, als Sie nicht auftauchten!«, schrie Karen Kris in die Ohren. »Alles okay mit Ihnen?«
»Jetzt schon, denke ich«, antwortete Kris und war dankbar, dass ihr Sam den Arm zur Stütze reichte. Der Rancher warf nur einen Blick auf ihre blutende Hand. »Mal sehen, ob ich nicht etwas von diesen medizinischen Gütern nutzen kann, die Sie mitgebracht haben.«
Der Sanitäter untersuchte die Handfläche aus trüben Augen wie ein Handleser vom Jahrmarkt. Er gab Kris eine Spritze, reinigte die Wunde und verband sie. »Das wird Ihnen Probleme bereiten, wenn Sie Hand über Hand ein Seil hinaufklettern möchten«, erklärte er ihr. »Ich sorge dafür, dass man Sie hochzieht.«
»Wegen dieser Kleinigkeit?«, fragte Kris und ballte die Faust. »Autsch!« Es tat teuflisch weh, und sie konnte die Faust auch nicht richtig schließen.
»Sie werden hochgezogen«, beharrte der Sanitäter und wandte sich wieder seinen Fieberpatienten zu. Ein Schuppen wurde improvisiert, indem man Segeltuch und Holz nutzte, das bis vor Kurzem noch ein Teil der Scheune gewesen war. Achtzig Leute liefen auf dem Stück Land zwischen der Felswand und dem steigenden Fluss herum. Fünf kleine Kinder, die inzwischen satt waren, spielten Fangen in den Pfützen und rings um die Erwachsenen. Darüber lächelten sogar die Kranken.
Kris blickte sich um, um darüber schlüssig zu werden, was als Nächstes zu tun war.
Zu ihrer Linken klapperte es, als Steine von der Felswand sprangen. Eine Sekunde später folgte ein menschlicher Körper in dunkler Kleidung, prallte von der Klippe ab und landete auf einer Krüppelkiefer. Kris und Sam liefen hinüber, und Kris’ Kommlink schaltete sich ein. »Kris.«
»Ich weiß, Tom, du hast einen weiteren Mann verloren.« Es war Akuba, der dunkelhäutige Mann, den Kris flussaufwärts gezerrt hatte. Der Sturz hatte ihn das Leben gekostet. Hinter Kris trieben Mütter ihre Kids zusammen, damit sie nicht diesen Anblick der Sterblichkeit, möglicherweise ihrer aller Sterblichkeit, zu sehen bekamen.
»Uns fehlen noch zwanzig Meter bis zur Oberkante«, schrie Tom aus dem Kommlink. »Wir finden keinen wirklich guten Weg dort hinauf. Akuba, José und Nabil haben drei mögliche Routen ausprobiert.«
»Akubas Route hat nicht funktioniert«, schloss Kris für ihn, während sie sich zu den Ranchern umdrehte. Mehrere Männer und Frauen knieten im Schlamm und beteten. Kris hoffte, dass ihr Gott zuhörte. Rings um die Residenz des Premierministers boten Sonntage Gelegenheit, Fotos mit Kirchenthematik für die Medien zu liefern. Das war alles, was Vater von der Kirche erwartete und was Kris von ihr verstand. Tommy hielt sich vermutlich dort oben an einem Felsen fest und betete. Kris hoffte, dass irgendjemand all diesen Worten Beachtung schenkte.
»Ich weiß«, fuhr Tom fort. »José und Nabil klettern noch. Sie haben nicht mal hingesehen, als Akuba ausrutschte. Gott, und ich dachte, Marines wären zähe Brocken!«
»Bleib in Verbindung«, wies Kris ihn an und schaltete den Link aus.
»In wenigen Minuten
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