Krise im Jahr 2000
rasch durch die Nebenstraßen auf die Hauptverkehrsader zu, die das Gelände in zwei Hälften teilte.
Bald hatten sie die Gebäude hinter sich gelassen und kamen an die Hauptstraße, die zu dem fernen New York führte. Lynn sagte: »Ich bin wirklich froh, daß ich bis morgen nichts mehr davon sehe.«
»Haben Sie Angst?« fragte Dexter neugierig.
»Nicht gerade das. Aber ich möchte nicht während der Nacht von der Sperrwand eingeschlossen werden. Sie könnten ja beschließen, die Wand noch weiter auszudehnen.«
»Ich verstehe Sie«, stimmte Dexter zu.
»Fleisch und Blut könnte ich ertragen, … aber nicht Roboter«, fügte sie hinzu.
»Wenn Sie tief genug graben, werden Sie Fleisch und Blut finden«, sagte Dexter.
»Sicherlich – tiefgekühlt unter Druck und wahrscheinlich in Methan und Ammoniak schwimmend. Für solch Fleisch und Blut bin ich nicht.«
Dexter lachte. »Nein? Für welche Art sind Sie denn, Lynn?«
»Jon«, sagte sie, nicht unfreundlich, »Sie haben ein eingleisiges Gehirn.«
»Bis ich Sie kennengelernt habe, war das anders.«
Ein unterdrücktes Räuspern vom hinteren Sitz erinnerte Dexter an seine eigenen Aussichten für die Nacht: ein Zimmer neben dem des Senators im Hotel Granada am Times-Square, wo Wayne für sie Quartier bestellt hatte. Dieser Gedanke bedrückte ihn ungeheuer.
»Seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie sagen«, warnte Lynn ihn leise. »Der Senator hat für heute Aufregungen genug erlebt.«
»Offen gestanden«, sagte Dexter, »kann er meinetwegen gern gegen die Feuerwand anrennen.«
»Das ist unfreundlich.«
»Ich habe zuweilen einen unfreundlichen Charakter. Sie werden das noch merken.«
Sie sah ihn fragend an. »Warum sollte ich?« entgegnete sie.
»Man muß Menschen gut kennen, um ihre Fehler zu bemerken, und ich bilde mir ein, daß Sie mich sehr gut kennenlernen werden«, sagte Dexter.
»Das ist Ansichtssache, Jon.«
Plötzlich fragte Dexter: »Wo ist Bob Clayton heute abend?«
»Ich vermute, er arbeitet noch«, erwiderte sie. »Er muß dableiben, bis der Oberst und Wayne in ihre Feldbetten fallen.« Sie schwieg einen Augenblick und strich ihr Haar mit einer weichen Handbewegung zurück. »Meistens fahren wir zusammen zurück, jeder in seinem Wagen. Er fährt voran und bestimmt das Tempo. An der Fünften Avenue trinken wir gewöhnlich in einem Drugstore noch einen Cocktail, und dann trennen wir uns.«
»Wie wäre es, wenn wir an der Fünften Avenue einen Whiskysoda tränken und uns nicht trennten?« schlug Dexter vor.
Sie schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Zweck, Jon. Ich bin ein Ein-Mann-Mädchen.«
»Offen gestanden, Lynn, glaube ich das nicht. Es gibt ebenso wenig Ein-Mann-Mädchen, wie es Ein-Mädchen-Männer gibt.«
Lynn lächelte. »Sie sind ein Zyniker. Ich meine wirklich, was ich sage.«
Dexter seufzte ergeben. »Na schön, da wird für mich also wohl nichts weiter übrig bleiben als mich mit dem Senator zu begnügen.«
Drazin mußte die flüchtige Erwähnung seiner Person aufgefangen haben, denn er erwachte aus seiner trägen Träumerei, beugte sich vor und sagte: »Sagen Sie, Dexter, was hielten Sie von meiner Rede?«
Im Rückspiegel wirkte Drazins Kopf verkürzt und ungeheuer groß. Dexter hatte das Verlangen, die Hand auszustrecken und ihn zu streicheln. »Ich habe Ihnen ja schon gesagt, Senator«, erwiderte er, »ich bin auf seiten des Obersten. Wenn die Leute weniger redeten und mehr täten, wäre das eine verdammt viel bessere Welt!«
»Sie enttäuschen mich, Dexter«, sagte Drazin verdrießlich.
»Regen Sie sich nicht auf, Senator«, warf Lynn liebenswürdig ein. »Ich verstehe beide Seiten dieses Problems. Sie haben gewissermaßen recht, und ebenso der Oberst, aber Sie gehen beide nicht weit genug. Weder Ihr Samthandschuh noch der Eisenabsatz des Obersten wird irgendeine Wirkung auf die Saturnbewohner haben, sie sind eine wissenschaftliche Rasse, und man muß ihnen wissenschaftlich begegnen. Unglücklicherweise scheint es, als ob ihre Wissenschaft besser ist als unsere.«
»Vernünftig, sehr vernünftig«, murmelte Drazin dankbar. »Natürlich sind Kyle und ich genau entgegengesetzte Temperamente, und wir werden nie etwas vom gleichen Gesichtspunkt aus sehen. Aber ich kann mir nicht helfen: ich finde es gut, daß er auf Opposition stößt, sonst kann man nicht wissen, in was für eine teuflische Krise er uns hineinführt.«
Damit lehnte sich Drazin, augenblicklich befriedigt, in seinen Sitz zurück. Er sagte nichts mehr, sondern
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