Krise im Jahr 2000
blickte durch das Seitenfenster müßig auf die in der purpurnen Dämmerung vorübergleitende Landschaft.
Ein rotes Stoplicht wurde in der Dunkelheit vor ihnen sichtbar, und Lynn hielt vor einer schwarz-weiß gestreiften Straßenbahnschranke. »Ihr Werk«, bemerkte sie zu Dexter, als ein Polizist sich näherte und die Tür öffnete.
»Haben Sie Ihren Ausweis?« fragte Dexter.
»Irgendwo«, sagte Lynn und durchsuchte ihre Handtasche.
Dexter zeigte seine Marke und wurde höflich begrüßt. Der Polizist blickte flüchtig auf die Ausweise der beiden andern, schlug die Tür zu und trat zurück. Das Auto wurde wieder lebendig, als die Schranke sich hob.
Der Himmel war jetzt fast völlig dunkel, sternenübersät, aber mondlos, und gerade über dem Horizont verkündete ein rosiger Schein die Lichter von New York.
Lynn hielt das Auto ständig bei fünfzig und blieb immer etwas rechts von der Wegmitte. Sie bewegte das Steuer mit ruhigen, entspannten Händen, und ihre Augen waren aufmerksam und glänzend.
»Wollen wir nicht heute abend ins Theater gehen?« sagte Dexter.
Ihr Lächeln war ein ermutigender Lohn für seine Hartnäckigkeit. »Warum wollen Sie sich unbedingt mit mir verabreden?« fragte sie.
»Weil ich verrückt nach Ihnen bin, Lynn«, erwiderte Dexter sanft.
»Das können Sie nicht sein«, sagte sie sachlich. »Sie kennen mich erst seit ein paar Stunden.«
»Ich habe so noch nie für eine Frau empfunden. Es geschah gleich, als ich Sie Waynes Büro betreten sah. Da wußte ich … ja, ich wußte es wirklich sofort. Glauben Sie mir, Lynn, Sie sind das Mädchen, nach dem ich mein ganzes Leben lang gesucht habe.«
»Hm … das geht Ihnen ganz gut von den Lippen«, erwiderte sie skeptisch. »Gut eingelernt, möchte ich sagen.«
»Jetzt sind Sie zynisch.«
»Aber ich frage Sie, wer glaubt heutzutage an Liebe auf den ersten Blick? Ich wette, sie versuchen es bei allen Mädchen auf die gleiche Art.«
»Es sind nicht mehr als ein Dutzend. Sie kommen und gehen. Aber diesmal ist es anders.«
»Das ist es immer, bis zum nächstenmal«, bemerkte sie und sah ihn nachdenklich an. »Aber diesmal wird es kein Kommen und Gehen geben. In Zukunft müssen Sie sich vorsehen, sich nicht in wissenschaftliche Referentinnen zu verlieben. Die sind zu vernünftig. Sie lassen ihren Kopf nicht von ihrem Herzen beherrschen!«
»Ich möchte wetten«, sagte Dexter, »daß Sie Clayton gegenüber nicht so vernünftig sind.«
»Das brauche ich auch nicht zu sein. Bei ihm dauerte es Wochen, bis er mich um eine Verabredung bat.«
»Der Mann muß ein Eisberg sein«, bemerkte Dexter mit mehr Überzeugung, als er wirklich empfand.
»Ich kann mich nicht beklagen.«
Dexter überlegte einen Augenblick. »Ja«, sagte er dann etwas niedergeschlagen, »Sie können mich nicht hindern, es zu versuchen.«
Sie schwiegen. Die Kilometer glitten unbeachtet vorüber, und bald befanden sie sich in den äußeren Vororten der Stadt. Lynn fuhr geschickt durch eine Reihe stiller Nebenstraßen, um den immer stärker werdenden Verkehrsstrom zu vermeiden, und bog endlich in das äußerste Ende der Fünften Avenue ein.
»Jetzt noch ein paar Kilometer«, bemerkte sie, »und dann kommt Times Square, wo wir unsere getrennten Wege gehen.«
»Kein Whiskysoda?« fragte Dexter.
»Kein Whiskysoda. Aber ich will Ihnen sagen, was ich tun werde, Jon. Falls Sie noch hier sind, wenn die Ausstellung eröffnet wird … sofern sie eröffnet wird, werde ich Sie herumführen.«
»Eine schöne Hoffnung«, sagte Dexter spöttisch.
Allzu bald fuhren sie am Grunde der geometrischen Schlucht entlang, die die Wolkenkratzer trennte, kamen in eine Welt leuchtender Neonlichter, und Times-Square war nur noch wenige Häuserblocks entfernt. Dexter warf einen raschen Blick auf den Rücksitz und sah, daß der Senator eingeschlafen war. Seine Gestalt war völlig zusammengesunken, doch verlieh die Bewußtlosigkeit seinem Gesicht jetzt, da es nicht durch Gereiztheit und Empörung belebt war, etwas Friedliches und Unschuldiges.
Endlich fuhren sie vor dem Hotel Granada vor, genau in dem Häuserblock vor Times Square. Als der Motor verstummte und das Auto in eine kristallinische Stille versank, begegnete Dexter den Augen des Mädchens und war einen Moment allein mit ihr in Raum und Zeit, war ihr näher als je zuvor, und die Welt war fern und unwichtig. Aber als Dexter sich mit klopfendem Herzen vorbeugte, um ihre Lippen zu erobern, wurde die Illusion durch ein lautes Schnarchen vom
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