Krishna-Zyklus 10 - Die Kontinente-Macher
hatte jedoch inzwischen den Bogen vom Boden des Bootes aufgehoben und fingerte bereits mit einem Pfeil herum. Borel schnappte sich seine Armbrust, lud, hielt die Luft an, schloss die Augen und drückte ab, gerade in dem Augenblick, als der neue Bogenschütze die Sehne losließ. Der Pfeil ging ins Blaue, und der Schütze verschwand für einen Moment, um gleich darauf wild fluchend und sich die Schulter haltend wieder aufzutauchen.
Borel lud erneut seine Armbrust und zielte auf den Mann im Boot. Diesmal jedoch schoss er nicht sofort, sondern richtete die Armbrust in rascher Folge der Reihe nach auf jeden der Insassen. Diese duckten sich ängstlich hinter die Bordwand, was natürlich dazu führte, dass organisiertes Rudern unmöglich wurde.
»Habt ihr endlich genug?« rief Borel.
Ein kurzes Wortgefecht folgte, und dann rief einer: »In Ordnung, nicht schießen; wir lassen euch ziehen.« Die Riemen setzten sich wieder gleichmäßig in Bewegung, und das Boot entfernte sich rasch in die Richtung, aus der es gekommen war. Als es außer Schussweite war, drehten sich ein paar der Räuber noch einmal um und schleuderten ihnen mit geballten Fäusten Drohungen und Beleidigungen entgegen, die Borel jedoch auf die Entfernung nicht verstehen konnte.
Die Flößer schlugen sich begeistert auf die Schultern und jubelten: »Wir sind gut! Hab ich nicht gesagt, wir nehmen es auch mit hundert Räubern auf?« Yerevats umtänzelte mit schwärmerischen Gebärden seinen tollen Herrn.
Borel fühlte sich mit einem Mal schwach und zittrig. Wenn in diesem Moment eine Maus (oder das, was auf Krishna die Funktion einer irdischen Maus bekleidete) an Bord geklettert wäre und ihn angequiekt hätte – er war sicher, er wäre in blankem Entsetzen in die schlammigen Fluten des Pichide gesprungen. Es war jedoch besser, diese Angst vor den anderen nicht zu zeigen. Mit zitternden Händen steckte er eine Zigarette in seine juwelenbesetzte Spitze, entfachte sie und nahm ein paar tiefe Züge. Als er sicher war, dass seine Stimme nicht mehr zittern würde, winkte er Yerevats zu sich und sagte:
»Yerevats, meine verdammten Stiefel sind schmutzig geworden. Putz sie; aber dass sie mir ordentlich glänzen, hörst du?«
II
Sie legten am Abend in Qou an, um dort die Nacht zu verbringen. Im Gasthof hörte Borel, wie die Flößer dem Wirt erzählten, wie sie (mit ein bisschen Unterstützung von einem Erdbewohner) hundert Flußpiraten in die Flucht geschlagen und mindestens zwanzig von ihnen getötet hatten. Mit einem Schmunzeln begab er sich auf sein Zimmer und schlief gleich darauf ein. Am nächsten Morgen zahlte er die Flößer aus und sagte ihnen Lebewohl, da sie weiter flussabwärts nach Majbur wollten, der freien Stadt an der Mündung des Pichide, um dort ihre Baumstämme zu verkaufen.
Vier lange krishnanische Tage später stand Borel auf dem Dach seines Gasthofes in Mishe und ließ den Blick über die Stadt schweifen. Die Hauptstadt der Republik Mikardand war erheblich größer, als er sich vorgestellt hatte. In ihrem Zentrum erhob sich ein schroff nach allen Seiten abfallendes Hochplateau, und auf diesem stand die mächtige Zitadelle des Ordens von Qarar. Die Zitadelle blickte finster auf Borel herab, der ebenso finster zurückblickte, während er einen Plan nach dem anderen schmiedete und wieder verwarf, wie er nicht nur in die Zitadelle hineingelangen konnte, sondern gleich auch in die herrschende Kaste, deren Festung und Machtzentrum sie war.
»Yerevats!«
»Ja, Herr?«
»Die Garma Qararuma arbeiten doch nicht, oder?«
»Hüter arbeiten? Aber nein, Herr! Bewachen Land, schützen gemeine Volk vor Feinde und vor sich selbst. Das genug Arbeit, nicht?«
»Schon möglich, aber was mich interessiert: Wovon leben die Hüter?«
»Sammeln Steuern von gemeine Volk.«
»Das habe ich mir gedacht. Wer sammelt diese Steuern ein?«
»Schildknappen von Orden. Arbeiten für Schatzmeister von Orden.«
»Und wer ist das?« fragte Borel.
»Ist edler Garm Kubanan.«
»Und wo finde ich diesen edlen Herrn Kubanan?«
»Wenn ist in Zitadelle, kann nicht sehen. Wenn in Schatzamt, kann.«
»Und wo ist das Schatzamt?«
Yerevats vollführte eine undeutliche Handbewegung. »Da. Meister will gehen?«
»Richtig. Spann den Karren an, hörst du?«
Yerevats hörte, und wenig später holperten die beiden in dem vierrädrigen Einspänner, den Borel in Qou gekauft hatte, über das Kopfsteinpflaster in Richtung Schatzamt. Zwar war Borel beim Kauf des Karrens die
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