Kristall der Macht
gefasst wurde.«
»Auch mit deiner Stimme.« Der Fürst schaute den General von der Seite her an. »Vergiss das nicht.«
»Wir sind alle nicht frei von Fehlern«, räumte der General ein. »Aus heutiger Sicht würde ich anders entscheiden.«
»Es gibt aber nichts mehr zu entscheiden«, beendete der König das Gespräch und fragte: »Wie viel Zeit bleibt uns noch?«
»Darüber habe ich noch keine Kunde«, gab der General zu. »Ich vermute aber, dass es nicht mehr lange dauern wird. Der Sturm hat dem Winter Tür und Tor geöffnet. Die Rakschun werden gewiss nicht warten, bis Regen, Frost und Schnee den Boden schlammig werden lassen.«
»Dann sollten wir nicht säumen.« Der König nickte Rivanon zu: »Du weißt, was zu tun ist. Ich erteile dir hiermit alle königlichen Vollmachten, die nötig sind, um das Volk von Baha-Uddin zu den Waffen zu rufen.«
Kaori hatte genug gehört. Während die drei Männer noch heftig darüber diskutierten, welche Schritte eingeleitet werden mussten, entschwand sie durch die Zimmerdecke und glitt unter einem strahlend blauen Himmel über die Stadt hinweg auf die Küste zu, wo das Meer die Dünung in malerisch schönen, weiß schäumenden Wellen an den Strand warf. Es sah ein wenig so aus wie auf Nintau, nur dass die Küste länger, der Strand breiter und das Land dahinter flacher waren als in der verlorenen Heimat.
Am fernen Horizont konnte Kaori die Segel des Schiffes sehen, das die Überlebenden nach Baha-Uddin brachte. Nach allem, was sie bei ihrem Besuch in der Stadt erfahren hatte, hätte sie am liebsten verhindert, dass die Menschen von Bord gingen. Dieses von Krieg, Not und Elend so arg gebeutelte Land war alles andere als die friedliche Heimat, die sich die Menschen von Nintau erhofften. Eine erneute Enttäuschung schien unausweichlich, und diesmal gab es keine Boote und kein rettendes Schiff, mit dem sie die Reise würden fortsetzen können.
Traurig schüttelte Kaori den Kopf. Was hatte ihr Volk nur getan, dass die Götter es mit so vielen Schicksalsschlägen straften? Hatten sie denn noch nicht genug gelitten, dass ihnen auch noch ein Krieg aufgebürdet wurde? Das alles war so furchtbar ungerecht.
Während sie über das Meer auf das Schiff zuglitt, überlegte Kaori, was sie Noelani raten sollte. Zeigt euch nicht! Bleibt fort von der Stadt! Diese und andere Ratschläge gingen ihr durch den Kopf, aber sie wusste natürlich auch, dass die Flüchtlinge auf fremde Hilfe angewiesen waren und vermutlich gar nicht anders konnten, als sich den Einwohnern zu nähern. Sie konnte nur hoffen, dass Noelani an Land die Kraft dazu fand, in die Welt der Geistreise zu kommen, damit sie ihr erzählen konnte, was sie herausgefunden hatte.
9
Vierundzwanzig Mal hatte das Beiboot des Viermasters die Strecke zwischen dem Schiff und dem Strand zurückgelegt, dann hatte auch der letzte Überlebende von Nintau den Fuß auf das Land gesetzt, das die neue Heimat der Inselflüchtlinge werden sollte. Es war nicht der Ort, den Kaori und Noelani als Ziel ausgewählt hatten, aber sie hatten festen Boden unter den Füßen, und das war es, was in diesem Augenblick zählte.
Der Kapitän des Seglers hatte ihnen so viele Vorräte mitgegeben, wie er entbehren konnte. Dazu Decken, zwei Fässer mit frischem Wasser und Segeltuch, aus dem sie notdürftig Zelte herstellen konnten. Doch was am Strand an Gütern lagerte, erschien angesichts der vielen Menschen bitter wenig, und Noelani wusste, dass sie sich schon bald auf den Weg machen musste, um Hilfe und Unterstützung von der Bevölkerung zu erbitten.
Gemeinsam mit Jamak stand sie am Wasser und schaute dem Beiboot nach, in dem die Matrosen den Kapitän mit kräftigen Ruderschlägen zu seinem Schiff zurückbrachten. Sie hatte dem großmütigen und selbstlosen Mann zum Abschied aus ganzem Herzen gedankt, mit Worten, die ihr angesichts dessen, was er für sie und ihr Volk getan hatte, blass und wertlos erschienen.
Er aber hatte nur gelächelt und sich bescheiden gegeben und sich nochmals dafür entschuldigt, dass er sie nicht mit in sein Heimatland nehmen konnte. Dann hatte er ihr und allen anderen eine bessere Zukunft gewünscht und war in das Boot gestiegen, um zu seinem Schiff zurückzukehren.
»Ein guter Mann«, sagte Noelani gedankenverloren.
»Ja, das ist er. Aber jetzt sind wir allein auf uns gestellt.« Jamak seufzte. Ein Zeichen dafür, dass auch er mit Unbehagen daran dachte, wie es weitergehen sollte. »Womit wollen wir beginnen?«
»Wir brauchen
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