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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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fiel.
    Jetzt schlug Alte Mutter sogar die Augen auf und lächelte, richtete sich gleich darauf auf und fasste sich ungläubig an die verschrumpelten Brüste. Die Schmerzen waren verschwunden. Beide starrten sie verblüfft den durchsichtigen Stein an. In Unkenntnis der herzstärkenden Heilkraft des Fingerhuts nahmen sie an, das Wasser im Stein hätte Alte Mutter gesund gemacht. Als sie bei Tagesanbruch zur Familie aufschlossen, wurden sie neugierig beäugt, gehörten die Große und Alte Mutter doch fast schon der Vergangenheit an. Aber mit Gesten und den wenigen Worten, über die sie verfügte, erklärte Alte Mutter, dass der Wasserstein sie dem Tod entrissen habe. Und als die Große daraufhin den Kristall herumreichte, lutschte jeder so lange daran, bis sich auch in seinem Mund Speichel bildete. Somit war der Durst fürs Erste gestillt, und die Große erntete Blicke, die Verwunderung und auch ein wenig Scheu verrieten.
    Durch Zufall stieß sie auf den Fremden. Sie hatte im hohen Gras um den westlichen Teil des Sees Salamandereier gesucht und vom Ufer her seine Stimme gehört. Gesehen hatte sie ihn noch nie, diesen hoch gewachsenen jungen Mann mit den breiten Schultern und muskulösen Schenkeln. Woher er wohl kam? Die Familie hatte tags zuvor den See erreicht und feststellen müssen, dass das Wasser völlig mit Asche bedeckt war. Sämtliche Fische waren tot und verwesten bereits. Die Suche nach Schildkröten- und Reptilieneiern hatte nichts erbracht, und die Vegetation am Ufer war unter einer so dichten Schicht Asche erstickt, dass selbst Wurzeln schwarz und ungenießbar geworden waren. Weil sich die Vögel verzogen hatten, waren auch ihre Nester leer, gab es also weder Kranich- noch Pelikaneier, um sich daran satt zu essen. Nur eine kleine Schar Enten kämpfte noch zwischen verwitterten Rohrkolben und Schilfgras ums Überleben. Wer immer von der Familie körperlich dazu in der Lage war, suchte im weiter entfernten Umkreis nach Nahrung, während die Älteren und die Kinder auf der Felsbank verblieben, auf der man zum Schutz vor Raubtieren das Lager aufgeschlagen hatte. Die Große hatte eine kleine Zebraherde entdeckt, die am Ufer des Wassers kniete und durch die Asche zu trinken versuchte, als ihr der junge Fremde ins Blickfeld geraten war.
    Er benahm sich höchst sonderbar. In der einen Hand hielt er eine lange Tiersehne, deren oberes Ende zu einer Schlinge geknüpft war, in der ein Stein steckte, und mit der anderen schlenzte er einen flachen Stein über das Wasser, sodass die Wildenten jäh aufstoben.
    Nun schwang der Fremde die Tiersehne über den Kopf, ließ sie vorwärts schnellen. Der Stein löste sich aus der Schlinge, schoss durch die Luft und traf eine der Enten, die prompt im Wasser versank. Jetzt brauchte der junge Mann nur noch durch den flachen See zu waten und den toten Vogel herauszufischen. Die Große schnappte hörbar nach Luft.
    Der Fremde blieb stehen, wandte sich in ihre Richtung um und musterte eingehend den Pflanzenwall, bis die Große, über ihren Mut selbst erstaunt, hervortrat.
    Sie fühlte sich stark, weil sie den wundersamen Wasserkristall um den Hals trug, an einer aus Gräsern geflochtenen Schnur. Wie ein riesiger Wassertropfen lag er zwischen ihren Brüsten, und seine milchige Mitte, vor drei Millionen Jahren entstanden, als kosmischer Diamantenstaub mit Quarz von der Erde verschmolz, schimmerte wie ein Herz.
    Sie und der Fremde blickten sich vorsichtig und wachsam an.
    Sein Äußeres unterschied sich ein wenig von dem der Familie: Seine Nase war etwas anders geformt, seine Kinnlade stärker ausgeprägt, die Farbe seiner Augen auffallend grün, wie Moos. Sein Haar war zwar wie das von der Großen und ihrer Familie lang und zottelig und mit rötlicher Erde durchsetzt, aber zusätzlich mit kleinen Muscheln und Steinen verziert, was der Großen sehr gefiel. Am meisten faszinierten sie jedoch die Straußeneier, die er an einem Gürtel aus geknüpftem Schilfgras um die Mitte trug. Die Eier wiesen Löcher auf, die mit feuchter Erde versiegelt waren. Obwohl es Verständigungsschwierigkeiten gab, gelang es dem jungen Mann zu erklären, dass er zu einer Familie gehörte, die jenseits der Ebene lebte, in einem der Großen unbekannten Tal. Und dass er Dorn hieß.
    Wie er zu diesem Namen gekommen war, veranschaulichte er durch Gesten und Laute: Er hopste herum und simulierte Schmerzen, rieb sich das Gesäß, das, wie er vorgab, mit Dornen gespickt war. Als die Große begriff, dass sein Name auf eine

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