Kristall der Träume
ein Mädchen zur Welt bringen würde. Ein Mädchen würde im Harem großgezogen und auf eine künftige politische Heirat vorbereitet werden. Ein Junge aber…« Katharina hatte bereits gehört, dass der Sultan einen Sohn von einer Lieblingskonkubine hatte. Asmahan wurde vom ganzen Harem beneidet. »Der Sultan muss sehr glücklich sein«, sagte Katharina, weil ihr nichts Passenderes einfiel, und überlegte, um welchen Gefallen diese mächtige Frau sie wohl bitten könnte. »Ja. Er liebt unseren Sohn abgöttisch. Er lässt Bulbul oft holen und behält ihn tagelang bei sich.« Wieder trank sie nachdenklich einen Schluck von dem starken Gebräu. Katharina wartete.
Asmahan beugte sich vor, ihre Stimme wurde hart. »Die Sultanin ist ebenfalls schwanger. Davon bist du sicher unterrichtet.«
Katharina hätte gern geantwortet, dass hier nicht einmal ein Rotkehlchen ein Ei legen konnte, ohne dass es sofort alle Spatzen von den Dächern pfiffen. »Ich habe so etwas gehört«, sagte sie. Es handelte sich um die Sultanin Safiya, die mächtigste Frau im osmanischen Reich, denn sie wurde als Einzige wiederholt ans Lager des Sultans gerufen. »Es ist nicht ihre erste Schwangerschaft«, fuhr Asmahan so leise fort, dass kaum mehr als ein Flüstern vernehmbar war. Katharina stellte sich vor, wie sie hinter den Vorhängen von tausend verborgenen Augen beobachtet, von hundert Ohren belauscht wurden. »Die anderen Schwangerschaften endeten mit Fehlgeburten, oder Safiya brachte Töchter zur Welt. Doch die Astrologen prophezeien, diesmal wäre es ein Sohn. Weißt du, was mit anderen Frauen geschehen ist, als sie vom Sultan schwanger geworden sind?« Katharina war einiges zu Ohren gekommen. Erst vor wenigen Wochen war ein armes Geschöpf in der fünften Schwangerschaftswoche in die Gemächer der Sultanin Safiya befohlen und danach nie mehr gesehen worden. Hinter vorgehaltener Hand wurde geflüstert, dass Safiya das Mädchen in den Bauch getreten und damit massive Blutungen ausgelöst hatte, die Mutter und Kind das Leben kosteten.
»Auf diese und jene Weise ist es der Sultanin immer gelungen, den Weg für ihr eigenes Kind frei zu halten. Ich hatte Glück – und handelte klug. Als bei mir die Geburt näher rückte, bat ich den Sultan um den persönlichen Schutz seiner Leibärzte. So konnte Safiya weder mir noch meinem Baby etwas anhaben. Dass sie meinen Sohn hasst, steht fest, doch nicht einmal sie wagte bisher einen Versuch, ihn aus der Welt zu schaffen. Aber sobald sie selbst einen Sohn gebiert, kann sie das auf legale Weise tun.«
»Sie kann ihn töten?«, entfuhr es Katharina.
»Wenn es nur so wäre! Aber meinen kleinen Bulbul erwartet ein noch schlimmeres Schicksal.« Obwohl sie allein im Raum waren, warf Asmahan verstohlene Blicke um sich. »Es gibt in diesem Palast eine Kammer, die Käfig genannt wird. Es ist eine sehr kleine Kammer am Ende eines langen Korridors. Die Türen und Fenster sind zugemauert, sodass es keinen Zugang zur Außenwelt gibt. Dort leben die türkischen Prinzen, die keinen Anspruch auf den Thron haben. Sie werden von taubstummen Kindermädchen in völliger Isolation großgezogen, und nach einigen Jahren verlieren sie den Verstand.«
»Wie grausam! Wie kann so etwas nur geschehen!«
»Im türkischen Reich gibt es ein Gesetz, das dem Thronerben vorschreibt, seine Brüder auszuschalten. Allerdings darf dabei kein Blut vergossen werden; deshalb werden sie dazu verdammt, ihr Leben im Käfig zu verbringen. Genau das ist Bulbuls Los, sobald Safiya dem Sultan einen Sohn schenkt.«
»Ich verstehe nicht ganz, Herrin. Euer Sohn ist doch älter.«
»Aber ich bin von geringerer Geburt als Safiya. Sie stammt aus einem sehr alten, edlen türkischen Geschlecht, ich dagegen aus einer Nomadenfamilie – in unserem eigenen Land sind wir reich und mächtig, doch das zählt hier nicht. Daran erinnert Safiya den Sultan bei jeder Gelegenheit, und ich habe schon bemerkt, wie er schwankend wird.«
»Aber wie kann ich Euch helfen?«
»Mit Gottes Hilfe wirst du Bulbul zu meiner Familie nach Samarkand bringen.«
Katharina verschlug es den Atem. »Samarkand! Aber Herrin!
Warum ich? Von den vielen hundert Frauen hier…«
»Weil du die Einzige bist, die fort möchte. Ich habe in dir den leidenschaftlichen Wunsch gesehen, von hier zu fliehen. Die Frauen sind hier in der Regel glücklich, wie dir sicher aufgefallen ist. Viele stammen aus armseligen Dörfern, wo sie ein entbehrungsreiches Leben mit einem tyrannischen Ehemann
Weitere Kostenlose Bücher