Kristall der Träume
als die Gefangenen wieder sich selbst überlassen wurden, und während sich die anderen Frauen in Grüppchen zusammensetzten und weinten oder klagten, schlich Katharina zu ihrem Baum zurück, zog die verborgene Tasche aus dem Loch und hängte sie sich wieder um den Hals, dem sichersten Ort, den es im Moment dafür gab.
Es war dunkle Nacht, als Katharina plötzlich alles wieder einfiel, denn sie träumte von Adriano und Bulbul. Schreiend wachte sie auf, und als die Erinnerung an die Ereignisse einsetzte und Katharina ihre neue Lage mit aller Klarheit erfasste, begann sie so bitter und untröstlich zu weinen, dass die anderen nicht wagten, in ihre Nähe zu kommen.
Danach lebte Katharina wie im Nebel, schottete sich gegen jeden Annäherungsversuch der anderen Frauen ab, antwortete auf keine ihrer Fragen, trank Wasser nur, wenn es ihr an die Lippen gesetzt wurde, verweigerte aber jede Nahrung, während sie dasaß und zum fernen Horizont hinüberstarrte.
Adriano lag tot am Fluss, mit einem Schwert zwischen den Schulterblättern.
Bulbul lag mit zerschmettertem Schädel auf den Felsen. Doch sie war am Leben und wieder einmal zur Sklavin geworden.
Als eine der Stammesfrauen zu Katharina kam und ihr die Haare wusch, leistete sie keinerlei Widerstand. Die Frau schrubbte ihr ordentlich den Kopf, und als die Haare trocken waren, kämmte sie sie und holte andere in den Pferch, damit sie die schönen, sonnengoldenen Locken bewunderten.
Am nächsten Tag kam die Frau mit Seife und einem scharfen Messer wieder; diesmal rasierte sie Katharina den Schädel kahl und trug ihre Beute in einem Korb davon. Auch diesmal protestierte Katharina mit keinem Laut, sondern starrte nur in die unendliche Weite der Wüste hinaus.
Eine Woche später sah Katharina eine über und über mit Münzen geschmückte Frau – sicher die Frau des Häuptlings – mit einer grob gearbeiteten blonden Perücke herumstolzieren. Auch wenn ihr im Grunde alles egal war, fragte sie sich: Wozu Perücken, wenn diese Frauen ihren Kopf ohnehin bedecken? In der Nacht hörte sie dann aus dem Zelt des Häuptlings lustvolles Stöhnen und erinnerte sich mit einem Stich im Herzen, wie gern Adriano in ihrem Haar gewühlt hatte.
Am nächsten Tag kam ein sichtlich wütender Mann in den Pferch gestürmt. Er packte Katharina am Schädel und untersuchte ihn, als wäre er eine Melone. Dann brüllte er die Frau an, die sie kahl geschoren hatte. Katharina verstand kein Wort, hörte aber immer wieder das Wort Zhandu, wobei der Mann mit den Armen heftig in Richtung Osten gestikulierte.
Von ihren Mitgefangenen erfuhr sie, dass sie sich beim Stamm der Kosch befanden, einem stolzen, arroganten Volk, das sich durch Sklavenhandel hervortat und dem Glauben anhing, Gott habe sie als Erste erschaffen; alle anderen Völker wären lediglich nachträgliche Einfälle Gottes und daher dazu da, den Kosch zu dienen. Die Angehörigen dieses Stammes hatten runde, flache Gesichter, schräg geschnittene Augen und so leuchtend rote Haare, wie es Katharina noch nirgendwo gesehen hatte; sie lebten als Nomadenkrieger und vermischten sich nicht mit anderen, in ihren Augen minderwertigen Rassen. Sie ritten feurige Pferde mit zottigem Fell und struppiger Mähne.
Bald brachen sie ihre Zelte ab und zogen nach Osten. Katharina widersetzte sich weder, noch haderte sie mit ihrem Schicksal. Immer weiter ritten sie und machten bei Siedlungen nur Halt, um ihre Menschenware zu verhökern, wobei Katharina niemals angeboten wurde. Langsam begriff sie, dass die Kosch sie behalten wollten, bis ihre Haare nachgewachsen wären, und dass sie zu einem Ort namens Zhandu gebracht werden sollte.
Katharina trottete neben den Pferden und den zweihöckerigen Kamelen her und nahm weder den brennenden Sand unter ihren nackten Fußsohlen wahr, noch die Müdigkeit in ihren Knochen oder ihren Hunger. Ihr einziger Gedanke war Adriano: Wohin seine Seele wohl geflogen war? Zurück nach Spanien, in sein geliebtes Aragon?
Oder nach Jerusalem, wo sie sich unter die Schatten einer kleinen, der Muttergottes geweihten Kirche eingereiht hatte? Oder schwebte sie über seinen Mitbrüdern und feuerte sie in ihrem Kampf gegen die Ungläubigen an? Manchmal spät am Abend, wenn der Wind traurig heulte und Katharina zu den Sternen hochblickte, glaubte sie Adriano an ihrer Seite zu spüren, ein tröstliches Phantom, das so gern Arme aus Fleisch und Blut um sie geschlossen hätte.
Eines Tages kam ein Mann zu ihr, begutachtete sie und feilschte
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