Kristall der Träume
erbost mit der Frau, die sich um Katharina kümmerte. Katharina hatte genug Kosch gelernt, um ein paar Worte ihres Disputs aufzuschnappen: Die Frau nannte einen unverschämt hohen Preis für sie. Der Mann wollte den Grund dafür wissen. Da bohrte die Frau ihren Finger in Katharinas gerundeten Bauch und sagte: »Da ist ein Kind drin.«
Mit einem Schlag fiel alle Benommenheit von Katharina ab. Sie sah an sich herunter und erkannte, dass das stimmte – in ihrer inneren Erstarrung hatte sie nicht bemerkt, dass ihr Monatsfluss ausgeblieben war und dass sie immer runder wurde, obwohl sie so wenig aß. Adrianos Kind.
Endlich konnte sie sich dazu aufraffen, Bruder Pastorius’
Ledertasche unter ihrem schmutzigen Kittel hervorzuziehen und ihren Inhalt zu betrachten. Und als sie die kleine Scherbe mit dem Bild von Torbach und die Miniatur der heiligen Amelia mit dem blauen Kristall sah, kamen ihr wieder die Tränen. Doch unter ihre Trauer mischte sich der Funke einer neuen Hoffnung: Ein Teil von Adriano lebte in ihr weiter.
Immer weiter nach Osten zog die Karawane der Kosch. Sie entfernten sich von der Welt, die Katharina vertraut war, und stießen immer tiefer in unbekannte Gegenden vor. Katharina bekam zwar zu essen, aber es reichte nur knapp zum Überleben, und das wollte Katharina nun unbedingt, ihr Lebensmut war zurückgekehrt und stärker denn je. Sie kämpfte um Extraportionen und bestahl sogar die anderen, um das neue Leben, das in ihr heranwuchs, zu nähren. Die Kosch waren für sie ein gottloses, wildes Volk von abstoßender Brutalität. Nach der Enthauptung eines Verbrechers spielte der Stamm Polo mit seinem Kopf. Das Hochzeitsritual war äußerst primitiv: Die künftige Braut sprang auf ein Pferd und galoppierte davon, sämtliche Anwärter hinterdrein; wer sie einfing und niederrang, wurde ihr Mann. Die Kosch ließen ihre Sklaven schuften, bis sie vor Erschöpfung tot zusammenbrachen, ihre Leichen wurden nicht begraben, sondern einfach zurückgelassen.
Doch lachten, tanzten und sangen sie auch viel, wobei sie ein so starkes Gebräu tranken, dass Katharina schon von den Dünsten schwindlig wurde.
Und die ganze Zeit über sah und hörte sie zu und lernte so die fremde Sprache wie einst Lateinisch und Arabisch, denn das könnte ihr und ihrem Kind einmal das Leben retten.
Während die Kosch auf einer Hochebene zwischen den Ruinen einer Siedlung überwinterten, die von einem vergessenen Volk erbaut worden war, brachte Katharina ihr Kind zur Welt, ein blondhaariges winziges Mädchen, das mit einem einzigen schwachen Schrei den Steinwall zum Einsturz brachte, den Katharina um ihr Herz errichtet hatte. Sie nannte es Adriana, nach dem Vater. In den nächsten Tagen und Wochen, in denen Katharina ihr Baby stillte, in den Armen wiegte und liebkoste, schmolz ihr Kummer langsam dahin, und eine neue, unerwartete Freude durchströmte sie. Adrianos Kind, mit Haaren wie dem Goldenen Vlies. Doch ihr Baby war untergewichtig und gedieh nur mit Mühe. Katharinas Milch versiegte zu rasch, wieder musste sie um Nahrung kämpfen. Als der Häuptling und seine Hauptfrau das Kind anschauen kamen, nickten die beiden befriedigt beim Anblick des goldenen Flaums auf seinem Köpfchen, und wieder hörte Katharina das Wort Zhandu und wusste, dass man mit ihr und ihrem Kind Besonderes vorhatte.
Bei der Überquerung einer hohen Gebirgskette kampierten die Kosch vor einem Pass, der von zwei hohen schneebedeckten Gipfeln gesäumt war. In der Nacht wurde Katharina von einem donnernden Geräusch geweckt, das bei ihr Panik auslöste, bei ihren Bewachern dagegen freudige Aufregung. Bei Morgengrauen schwärmten sie aus und kletterten noch weiter den Pass hinauf bis zur Stelle, an der die Lawine niedergegangen war. Sie gruben wie die Wilden im Schnee, eine enorme Anstrengung, bei der sich auch die Gefangenen beteiligen mussten, bis ihre Mühen belohnt wurden. Unter Jubelschreien legten sie die Leichen und die Ladung der glücklosen Karawane frei, die von der Lawine verschüttet worden war. Erst hatte Katharina geglaubt, sie suchten nach Überlebenden, aber als sie einen Verschütteten ausgruben, der tatsächlich noch lebte, erschlugen sie ihn, denn die Kosch waren nur an Beute interessiert.
Katharina beobachtete die schamlose Plünderei und hörte erstickte Hilfeschreie; Toten wie Lebenden wurden Kleider und Schmuck vom Leib gerissen. Die Beute war reich, denn die Karawane kam aus China und führte Gold und Seide mit sich. Die Kosch zogen auf einer
Weitere Kostenlose Bücher