Kristall der Träume
anderen Route weiter, denn der Pass würde erst im Frühling wieder frei, wenn der Schnee schmelzen und die Leichen und Tierkadaver mit sich fortschwemmen würde.
Nur einmal unternahm Katharina einen Fluchtversuch. Bei einer Kreuzstraße zogen sie an einem riesigen Lager vorbei, wo Hunderte von Pferden, Kamelen und Lastponys zur Tränke geführt wurden; der Rauch von tausend Feuern kräuselte sich behaglich warm zum Himmel. Als die rothaarigen Sklaventreiber etwa zehn Meilen weiter flussaufwärts zelteten, stahl sich Katharina, als sich im Lager nichts mehr regte, aus dem Zelt der Gefangenen, band ein Pferd los, gurtete sich Adriana um die Brust und ritt davon. Kaum hatte sie die Umfriedung des Lagers verlassen, wurde sie auch schon gefasst, zurückgezerrt und bekam vor versammelter Mannschaft eine tüchtige Tracht Prügel. Von nun an wurde ihr, sobald sie sich einer anderen Reisegruppe oder Siedlung näherten, Adriana weggenommen, bis sie ein gutes Stück weitergezogen waren – die beste Methode, um weitere Fluchtversuche zu verhindern. Sie überquerten die rotgoldenen Wanderdünen der grausamen Tak-la-Makan-Wüste, wo Luftspiegelungen und unheimliche Klänge unachtsame Reisende in den Tod lockten. Der Sand driftete so schnell und unberechenbar davon, dass man rasch vom Weg abkam, daher errichteten die Reisenden Türme aus den Gerippen von Tieren, um die Straße für die Nächsten zu markieren. Wenn die Kosch jedoch solche Türme aufbauten, benutzten sie dazu Menschenknochen. Die Karawane passierte neblige Schluchten und windige Hochweiden. In der Sommerhitze reisten sie nur nachts, im Winter mühten sie sich durch Schnee und Gletscher.
Zwei Jahre dauerte es noch, bis die Kosch ihr entlegenes Ziel im Hochgebirge erreichten, weitab von jeder Handelsstraße. Als sie endlich am Fuß jener geheimnisvollen, wolkenverhangenen Hochebene anlangten, in die kein Fremder eindringen durfte, hatte Katharina fast vier Jahre bei den Sklavenhändlern verbracht. Ihre Haare waren wieder rückenlang gewachsen, ihre Tochter hatte gerade ihren dritten Geburtstag gefeiert, sie selbst zählte nun dreiundzwanzig Jahre.
Der einzige Weg nach Zhandu war ein steiler, schmaler Bergpfad, der mit jedem Schritt noch steiler und schmaler wurde.
Der Platz reichte nicht aus, um nebeneinander zu gehen, man musste im Gänsemarsch hochsteigen, eingekeilt zwischen eisengrauen Felswänden, die sich links und rechts in schwindelnde Höhen erhoben. Dieser unwegsame Pfad endete an einem riesigen, viele Armlängen dicken Holztor, das mit spitzen Eisenbolzen bewehrt war und von Speerträgern bewacht wurde. Zur Hochebene gab es keinen anderen Zugang als durch dieses Tor, das man nur mit einer Erlaubnis des Himmlischen Herrschers passieren durfte. Auf diese Weise war Zhandu seit Jahrhunderten abgeriegelt von der restlichen Welt geblieben.
Nachdem den Kosch Durchlass gewährt worden war, zogen sie weiter bis zur Himmlischen Brücke aus Marmor und Granit, einer technischen Meisterleistung, die auf mächtigen Pfeilern einen smaragdgrünen, weiß schäumenden Gebirgsfluss überspannte, in dem jetzt das Schmelzwasser talwärts toste. Und auf der anderen Seite dehnte sich jene Hochebene aus, bei der sich der Eindruck einstellte, man stünde auf dem Dach der Welt – grüne Bäume und fruchtbare Felder, so weit das Auge reichte. Katharina staunte über die üppige Pracht der Obstbäume, der Blumen, der Wiesen, noch nie hatte sie einen Landstrich gesehen, der ihrer Vorstellung vom Garten Eden so nahe kam. Und mittendrin erhob sich eine von weißen Mauern umgebene Stadt mit unzähligen Kuppeln und Türmen, die in der Sonnenhitze flirrten.
Die Kosch schlugen im Schatten der uneinnehmbaren Stadtmauern ihr Lager auf wie tausend andere, denn nicht jeder wurde eingelassen, sondern durfte die phantastischen türkisgrünen Kuppeln und Kristalltürme nur von draußen bestaunen. Zuweilen legte sich eine tiefe Wolkenschicht um den Fuß der Stadtmauern, dann sah die Stadt aus, als schwebte sie.
Ein Abgesandter kam aus der Stadt herausgeritten, um mit dem Häuptling der Kosch zu verhandeln. Katharina fragte eine der Frauen, was die Kosch und die vielen anderen Händler hier suchten.
Warum nahmen sie die Strapazen einer so langen, gefahrvollen Reise bis ans Ende der Welt auf sich? Ihr wurde kurz beschieden, bei den Zhandu herrsche ein solcher Reichtum, dass sie gar nicht wüssten, wohin damit. Sie zahlten jeden Preis und feilschten nie. Und dann sah Katharina die Yaks,
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