Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
Muskete ab.
    »Lassen wir das«, sagte sie.
    »Aber Madame«, jammerte Colette. »Piraten! Wir müssen alle anderen warnen!«
    Brigitte hieß sie still zu sein und eilte die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinunter. »Verrate nichts, Colette! « Die Situation erforderte eine andere Strategie und einen kühlen Kopf. Sie besaß eine traumhaft schöne Robe, die sie nie getragen hatte. Sie war vor zwanzig Jahren mit ihr aus Frankreich gekommen, eine Robe für besondere Anlässe, die sie zur Geburtstagsfeier des Königs hatte tragen wollen. Auf der Reise nach Martinique war sie jedoch schwanger geworden, und nach der Geburt ihres ersten Kindes hatte ihr das Kleid nicht mehr gepasst. Dann war sie wieder schwanger geworden, der Kreislauf hatte sich wiederholt, bis sie jede Hoffnung aufgegeben hatte, das Kleid je wieder tragen zu können. Zudem saß jetzt ein neuer König auf dem Thron, den sie gar nicht kannte.
    Das Oberkleid war in einem betörenden Rosa, das Mieder in tiefen Scharlachrot- und Karmesintönen bestickt, das Unterkleid in einem kontrastierenden Sonnengelb, wie es damals Mode war, als die Roben buchstäblich blenden und die Farben so schockierend und kontrastierend wie möglich sein sollten. Es erinnerte an einen tropischen Sonnenuntergang: die goldene Sonne vor einem rötlich angehauchten Abendhimmel. Nach der Geburt ihres siebten Kindes hatte Brigitte die Taille etwas weiter machen lassen, sodass das Kleid nun (mit Hilfe eines Korsetts) endlich passte. Dafür war es jetzt aber hoffnungslos veraltet. Dieser kunstvolle, überladene Stil war mit dem Tode Ludwigs des Vierzehnten aus der Mode gekommen. Wie hätte sie es dann noch tragen können? Und so war dieses Kleid zu einem Symbol vergangener Jugend und verpasster Gelegenheiten geworden. Der bloße Anblick rief in Brigitte Erinnerungen an ihre jugendliche Leidenschaft und verstohlene Küsse in sommerlichen Gärten wach.
    Mit klopfendem Herzen nahm sie die Robe aus dem Schrank und gab Colette die erforderlichen Anweisungen. Es war nicht einfach, ein so kompliziertes Gebilde in der Eile anzulegen – da gab es das Mieder, die Reifröcke und Unterröcke, all die Schnürbänder, Haken und Ösen zu bedenken, und das alles mit einer Colette, deren Hände vor Nervosität flatterten. Brigitte empfand selber Angst, doch das Bild von Kent – dieser dunklen, bedrohlichen Gestalt – verlieh ihr Kraft. Während sie den Atem anhielt und Colette das letzte Schnürband festzog, überdachte Brigitte im Geiste die Lage: Die Piraten würden jetzt gerade an der Brennerei angelangt sein. Von da bis zum Hauptgebäude betrug die Entfernung etwa eine halbe Meile.
    Endlich besah sie sich im Spiegel. Was sie sah, gefiel ihr überhaupt nicht. Die Robe mochte noch so umwerfend sein, sie selbst wirkte alt und plump darin. Doch dann fiel ihr der Stern von Kathay wieder ein. Mit fahrigen Fingern steckte sie die Brosche an die tiefste Stelle ihres Dekolletes, sodass die Diamanten und Saphire den Eindruck erweckten, als sei der blaue Stein wie ein taumelnder Schmetterling auf ihrem Busen gelandet.
    Die Verwandlung war sensationell. Eine neue Frau blickte ihr aus dem Spiegel entgegen. Der blaue Kristall besaß tatsächlich wundersame Kräfte! Brigitte Bellefontaine war wieder jung, schlank und wunderschön.
    Sie packte Colettes Hand mit festem Griff: »Hör mir gut zu. Wir werden gleich unerwarteten Besuch bekommen. Hab keine Angst.
    Und versuch nicht wegzulaufen.«
    »Aber, Madame… «
    »Colette! Hör gut zu, du musst genau tun, was ich dir sage…«
    Bevor Brigitte das Schlafzimmer verließ, musterte sie sich noch einmal im Spiegel und nickte sich grimmig zu. Mit einem letzten Blick auf die an der Wand lehnende Muskete dachte sie bei sich: Manchmal ist ein schönes Kleid die bessere Waffe.
    Über hundert Sklaven arbeiteten auf Bellefontaine – auf den Feldern, in der Zuckerfabrik und in der Rumbrennerei –, aber es bedurfte nur einer Hand voll Männer mit Pistolen und Musketen, um sie alle gefügig zu machen. Als Brigitte durch das Wohnzimmer schritt, hörte sie das Fußgetrappel vor dem Haus, gegrölte Kommandos, hin und wieder das Fauchen einer Peitsche. Die Sklavinnen, die sich hauptsächlich um die häuslichen Belange ihrer Herrschaften, um die Gemüsegärten und die Hühnerställe zu kümmern hatten, kamen erschrocken herbeigerannt und brachen in Wehgeschrei aus. Die Hausdiener schlichen sich geduckt an die Fenster, um vorsichtig hinauszuspähen.
    Brigitte verharrte einen Moment, um

Weitere Kostenlose Bücher