Kristall der Träume
lief und ihre Küchensklaven kooperierten, führte sie Kent und eine Hand voll seiner Männer aus dem Hof. Sie beschritt einen der vielen Kieswege, die dieses tropische Paradies durchzogen, die zu Gärten und Schuppen, zur Zuckerfabrik, zur Brennerei und zu den Sklavenunterkünften führten. Brigitte ging ihren »Gästen« voran, wobei sie eher schwebte, wie sie es in ihrer Jungmädchenzeit gelernt hatte. Ihre voluminösen rosafarbenen und gelben Röcke glitten über den Boden, als trügen keine menschlichen Füße sie vorwärts. Dieses elegante Schweben hatte sie auf Versailler Parkett gepflegt, um die jungen Männer zu Avancen herauszufordern; heute setzte sie es ein, um Diebe zu ihrer Beute zu führen.
Sie gelangten zu einer Lichtung inmitten des üppigen Grüns, und der Anblick ließ selbst diesen hart gesottenen Männern den Mund offen stehen. Es war ein Aussichtspavillon, offenbar aus Sternenlicht gesponnen, der da filigran und weiß in der Nacht schimmerte.
Brigitte trat anmutig zur Seite, als wollte sie den Herren Tee anbieten. »Hier.« Sie deutete auf den Fußboden des Pavillons.
»Unter diesen Brettern.«
Die Männer rammten ihre Fackeln in die Erde und machten sich eiligst daran, die Bodenbretter mit ihren Äxten aufzubrechen.
Wortlos sah Brigitte zu, wie sie die Kisten aus ihrem Versteck hievten und dann zum Haus zurückschleppten. Im Hof loderte bereits ein Lagerfeuer, das offensichtlich mit Mobiliar aus dem Haus gespeist wurde. Im Flammenschein brachen die Plünderer die Kisten auf und stürzten sich johlend auf den Schatz darin, denn Goldmünzen waren die bevorzugte Beute der Piraten.
Das war sozusagen das Startsignal für das große Fest. Aus dem Nichts zauberte jemand eine Fiedel hervor und stimmte eine fröhliche Melodie an. Andere rollten riesige Fässer mit Rum heran, die sie in der Brennerei entdeckt hatten. Die Sklavinnen hasteten nervös mit Weinflaschen und Bechern zwischen den Männern umher, während auf der anderen Seite des Feuers die Ferkel an ihren Bratspießen schmorten. Bellefontaine und die anderen Gefangen wurden unter dem Gelächter ihrer Peiniger in den Hühnerstall getrieben und in den Dreck gestoßen.
Irgendwo auf dem harten Marsch durch die Zuckerrohrfelder musste Henri seine prächtige Perücke verloren haben. Eine Allongeperücke, mit hoch getürmten schwarzen Locken, die ihm wie Kaskaden über die Schulter fielen. Neuankömmlinge auf der Insel hatten Henri wiederholt darauf hingewiesen, dass man solche Perücken inzwischen nicht mehr trug, aber Henri wollte nichts davon hören. Er hielt es mit der alten Tradition, dass ein Gentleman immer zu seinem Besten auszusehen habe. Nun fehlte ihm seine Kopfbedeckung, sein spärliches graues Haar stand in grotesken Büscheln von seinem Kopf ab, und die Piraten machten sich einen Spaß daraus, ihn herumzustoßen, zu treten und sein Haar zu zausen.
Bei diesem Anblick bohrte sich Brigitte die Fingernägel in die Handballen, um ruhig zu bleiben. Am liebsten hätte sie eine der Fackeln gepackt und wäre damit auf die Piraten losgegangen. Aber da spürte sie Kents Blick und gemahnte sich an ihren Vorsatz, die Gunst dieser Nacht zu nutzen.
»Hm«, meinte Kent und musterte sie forschend im Schein der Fackeln. »Ich frage mich, was Euch so unerschrocken macht.« Seine Bemerkung kam überraschend. Sah er denn nicht das Pochen an ihrem Hals, die Angst in ihren Augen, das Zittern ihrer Hände? »Ich bin nicht unerschrocken«, erwiderte sie, und das entsprach der Wahrheit. Wovor sie sich fürchtete, waren weitere Fragen. »Ihr schient nicht überrascht, uns zu sehen, als Ihr aus dem Haus kamt. Es wollte uns fast scheinen, als hättet Ihr uns erwartet.«
»Da oben ist ein Fernrohr.« Sie deutete auf die Dachterrasse.
»Ich habe Euren Vormarsch vom Strand her verfolgt.« Kent folgte ihrem Blick. »Ich würde das Fernrohr gern sehen.« Sie nickte zum Einverständnis und ging voraus. Im Hof drehten sich die Ferkel an aus Ästen geschnittenen Spießen, und Kents Männer waren vollauf damit beschäftigt, die Rumfässer zu leeren. In der Krone zweier hoher Palmen hockten Wachtposten, die Ferngläser auf das Fort und die Stadt Saint Pierre gerichtet. Beim leisesten Anzeichen militärischer Bewegungen sollten sie Kent mit einem Signal warnen, worauf er sofort mit seinen Männern verschwinden würde. Brigitte hoffte inbrünstig, dass es nicht zu diesem Warnsignal kommen möge.
Im Haus hatten die Plünderer ganze Arbeit geleistet: Das Porzellan
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