Kristall der Träume
draufzusetzen, ihr werdet in unliebsamer Weise auf den Boden zurückkehren.«
Hadadezer ließ die Esel und die Männer mit Handelsgütern beladen
– Getreidesaaten, Obsidian für Werkzeuge und Waffen und Vorräte, wie Salzfisch, Brot und Bier. »Als Investition«, sagte er zu Avram und keuchte von der Anstrengung, so viele Befehle geben zu müssen, wobei er seinen Tragsitz gar nicht verlassen hatte. »Bau dein Dorf wieder auf, Avram. Mache eine blühende Oase daraus, damit auch meine Karawane wieder davon profitiert.« Als Avram die Karawane durch das Haupttor aus der Bergstadt zum südlichen Bergpass führte, wappnete er sich im Geiste für das, was ihm bevorstand. Er würde seine Brüder um Verzeihung bitten, weil er davongelaufen war und Schande über die Familie gebracht hatte; er würde sich Parthalan zu Füßen werfen und dessen Familienehre wiederherstellen; er würde Marit um Vergebung anflehen und versuchen, ihr Herz neu zu gewinnen. Yubals Geist würde er jedoch nie um Vergebung bitten, das musste dieser bei ihm tun.
Die Karawane zog auf derselben Route südwärts, auf der zehn Jahre zuvor ein unglücklicher Knabe nordwärts gezogen war, nur sah Avram die Landschaft jetzt mit neuen Augen. Er sah Zedernwälder, die von einem wunderbaren Duft erfüllt waren, er sah die Höhlen von Al-Iari, Heimstätte seiner Ahnen, und er sah einen Fluss, der so lieb und vertraut war, dass Avram auf die Knie sank und Tränen der Reue vergoss.
Aus einem grauen Himmel fiel leichter Winterregen, als die Karawane an die Stätte der Ewigen Quelle gelangte. Zur Begrüßung kam eine viel kleinere Menschenschar herausgeströmt als in früheren Zeiten, und Avram fragte sich, ob es daran lag, dass es keine Wachposten mehr gab, die dem Dorf die Ankunft der Karawane ankündigten. Als er jedoch, seinen Packesel hinter sich herziehend, näher kam, bemerkte er, dass die gesamte Ansiedlung viel kleiner war, als er sie in Erinnerung hatte, und dass es keine Lehmziegelhäuser mehr gab, ja dass nicht einmal sein Geburtshaus mehr stand. Ein alter Mann, der angehumpelt kam, entpuppte sich als Namir, der Ziegenfänger, doch ihm folgten lauter fremde Menschen, sodass Avram sich besorgt fragte, ob die gesamte Bevölkerung im Verlauf der letzten zehn Jahre eine andere geworden worden war.
Dann hielt Namir plötzlich inne, blinzelte ungläubig und lief, laut schreiend »Es ist ein Geist! « ins Dorf zurück, ehe Avram ihm versichern konnte, dass er nicht Yubals Geist sei.
Andere, besonders die Älteren, blieben ebenfalls stehen und starrten Avram mit vor Furcht geweiteten Augen an, während die Jüngeren den Hund und die Packesel mit offenem Mund anglotzten.
Avram gab der Karawane das Zeichen, ihr Lager aufzuschlagen. Die erschöpften Männer luden ihre Lasten ab, Kochfeuer wurden entzündet und Zelte in dem leichten Nieselregen aufgeschlagen.
Alles sah irgendwie ärmlicher aus als in den großen Tagen von Hadadezer. Avram ließ den Blick auf der Suche nach bekannten Gesichtern über die Menge schweifen. Würde er seine Brüder wiedererkennen? Seine Großmutter lebte bestimmt nicht mehr. Aber Marit - in seiner Erinnerung immer noch ein Mädchen –, war sie wohl hier?
Ein kurzbeiniger Mann kam mit dem Gehabe eines Gockels herangestelzt, in der Hand einen beeindruckenden Krummstab.
Avram brauchte einen Moment, bis er Molok, Marits Abba, erkannte. Er wollte ihn freudig begrüßen, aber der Mann starrte ihn nur mit gefurchter Stirn an, so als ob er versuchte, sich an etwas zu erinnern. Inzwischen hatte sich die Kunde von der Karawane im Dorf verbreitet, und immer mehr Menschen kamen herbei, darunter auch drei junge Männer mit Feldwerkzeug. Avram erkannte seine Brüder beinahe nicht mehr. Er hatte sie immer als Knaben in Erinnerung behalten, aber nun waren sie zu robusten, stattlichen Männern herangewachsen. Caleb fiel vor Avram auf die Knie und umfing seine Beine. »Gesegnet sei der Tag, der unseren Bruder zurückbringt! Wir dachten, du seist tot!«
»Steh auf, Bruder.« Peinlich berührt fasste Avram Caleb am Arm. »Ich müsste zu deinen Füßen liegen.«
Sie fielen sich weinend um den Hals. Die jüngeren Brüder kamen ebenfalls heran und begrüßten Avram unter Freudentränen. »Kenne ich dich, junger Mann?«, fragte Molok und blinzelte aus halbblinden Augen. »Du kommst mir bekannt vor.«
» Abba Molok«, sagte Avram mit allem Respekt. »Ich bin Avram, der Sohn von Chanah aus dem Talitha-Clan.«
»Was? Avram? Es hieß, du seist tot.
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