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Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft

Titel: Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Schuld und noch mehr Schuld, wie sie Francis behandelt hatte. Sie wollte mit ihrer Mutter darüber reden, konnte aber die Worte nicht finden. Und was nützte das überhaupt? Mom war ebenso eine wandelnde Leidende wie Lina. Sie trieben dahin, Seite an Seite in diesem großen, alten Haus, das überhaupt nicht wie ein Heim war, sagten nichts und lächelten nie.
    Und jetzt, in all diesem Schmerz, hatte ihre Mutter den Vater hervorgezaubert.
    Lina zuckte zusammen und zog die Beine an die Brust, starrte blicklos auf die glatte, silberne Oberfläche des Lake Union. Die großen, verrosteten Rohre, die Gasworks Park seinen Namen gegeben hatten, waren ein riesiger, ungeschlachter Schatten links von ihr.
    Ein leichter Regen begann zu fallen, prasselte auf den See und spritzte klingend von der Metallkonstruktion ab.
    Der bloße Gedanke an den Tag der Beerdigung brachte ihr Blut zum Kochen. Sie konnte nicht glauben, dass ihre Mutter ausgerechnet diesen Augenblick ausgewählt hatte, um ihr die große Neuigkeit über ihren mysteriösen Vater mitzuteilen.
    Sie kauerte sich zu einer festen, kleinen Kugel zusammen und rollte auf die Seite. Winzige Spitzen von totem Gras stachen ihr in die Wange und Regen peitschte auf die andere Gesichtshälfte, rann in eisigen Bächen in ihren Kragen.
    Sie wollte ihre Mutter dafür hassen, dass sie das Thema angesprochen hatte, und ein Teil von ihr tat das auch, aber in diesem Augenblick war in ihr so viel mehr. Hass und Ärger und, am schlimmsten von allem, diese nagende Hoffnung, die nicht wachsen wollte und doch nicht ganz ersterben konnte.
    Sie lag dort, bis ihre Kleidung völlig durchnässt war und ihr Haar am Gesicht klebte. Sie brauchte Francis, damit alles in Ordnung kam.
    Aber Francis war gegangen und er würde nicht zurückkommen.
    Wer würde ihr jetzt helfen, wo er fort war? Wer würde ihr Fels sein, auf den sie sich stützen konnte, wenn die düsteren Stimmungen kamen, wer würde seine Tür öffnen und grinsen und sagen: Komm herein, Lina-Ballerina...?
    Daddy.
    Sie dachte an das Phantom, das ihr Vater war, an den Mann, von dem sie seit Jahren geträumt hatte, auf den sie gewartet, um den sie gebetet und an den sie geglaubt hatte. Sie brauchte ihn jetzt mehr, als sie ihn je zuvor gebraucht hatte.
    Ich möchte, dass er dich liebt, Lina. Ich möchte, dass er dich will, aber ich habe Angst... ich habe Angst, dass er dir das Herz brechen wird.
    Als sie die Worte gehört hatte, hatte Lina gewusst, dass es die Wahrheit war. Ihre Mutter hatte Angst, dass er ihr das Herz brechen würde. Und vielleicht würde er das auch. Es war unmöglich, sich weiter an all ihre Kleinmädchenphantasien von einem perfekten Vater zu klammern. Seit Francis' Tod begriff sie, wie dunkel und erschreckend die Welt sein konnte.
    Lina schniefte und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Flanelljacke über die tropfende Nase. Der Mann, der ihr Vater war, konnte ihr wehtun. Das verstand sie jetzt und wusste, dass die Angst ihrer Mutter echt war.
    Aber vielleicht konnte er sie auch retten.
    Sie wollte, dass dies wahr werden würde, wollte es so sehr, dass sie sich von ihrem Sehnen völlig zerschlagen fühlte. Sie war so entsetzlich einsam und die Liebe ihrer Mutter schien nicht zu helfen. Sie brauchte ihren Vater, der sie in seine Arme und sie in sein Haus nahm, um nach ihrem Leben zu fragen und zuzuhören. O Gott, einfach nur zuzuhören ...
    Sie hatte Francis verloren, und alles, was ihr blieb, war ihr Daddy.
    Sie würde ihn dazu bringen, dass er sie liebte. Sie würde ihn nicht als gegeben hinnehmen, wie sie es bei Francis getan hatte. Bei ihrem Daddy würde sie perfekt und geistreich und liebenswert sein. So liebenswert, dass er um die Jahre weinen würde, die er verloren hatte.
    Es musste möglich sein.
    Denn wenn es nicht so war - wenn er sie wirklich nicht wollte -, dann glaubte sie, das nicht überleben zu können.
     
    Angel träumte, er ginge wieder über die Wiese. Diesmal war es Winter. Eine dicke glitzernde Schneedecke lag über allem und der Himmel war von einem strahlenden Blau.
    Wie Francis' Augen...
    Und plötzlich befand er sich in einer leeren Kirche. Er blinzelte und blickte um sich. Sonnenlicht fiel durch ein riesiges Bleiglasfenster, streute Scherben von vielfarbigem Licht über den Holzboden. Eine riesige Statue der Jungfrau Maria, aus weißem Marmor gehauen, starrte auf ihn herab, die Arme schützend um ein in Windeln gewickeltes Bündel gefaltet.
    Angel drehte sich langsam um und sah eine Gruppe von

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