Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Kindern in der offenen Tür stehen. Als er sich wieder umdrehte, war die Kirche voller Menschen - Eltern, die Kameras hielten und ihre Hälse reckten, um die Kinder zu sehen.
Nacheinander traten die Kinder in die Kirche ein. Sie waren alle ähnlich gekleidet - Mädchen in weißen, rüschenbesetzten Kleidern, Jungen in gebügelten schwarzen Hosen und gestärkten weißen Hemden, das Haar unnatürlich streng zurückgekämmt. Angel spürte, dass er zu lächeln begann. Es war ein Tag, an den er sich so deutlich erinnerte ...
Francis erschien zuerst, ein schlaksiger Neunjähriger mit übermäßig gestärkter schwarzer Hose, die ein winziges, kaum hörbares Geräusch von sich gab, als er ging. Angel folgte seinem großen Bruder so dicht, dass er gegen ihn stieß, als Francis plötzlich stehen blieb. Angel hörte sein Lachen durch die stille Kirche trillern, bevor er es unterdrücken konnte.
»Psst«, zischte Francis und drehte sich zu ihm um.
Angel grinste seinen Bruder breit an. »Tut mir Leid«, flüsterte er und versuchte, seine Kleidung in Ordnung zu bringen. Er zupfte an dem abgetragenen weißen Hemd und steckte es wieder in seine kleine schwarze Hose.
Dann bewegte die Reihe sich wieder. Sie marschierten an den Bankreihen vorbei und bezogen neben der Orgel ihre Plätze. Es gab einen Augenblick gedämpfter Stille, bevor das Lied begann. Eltern grinsten und beugten sich vor. Kameras klickten.
Angel rückte langsam näher zu seinem Bruder. Francis stand in der Mitte der Reihe - der größte Junge im Kirchenchor sein Rücken war steif und er hatte die Augen starr geradeaus gerichtet. Er sang das Lied mit der klaren, reinen Stimme eines wahren Gläubigen.
Angel griff langsam in seine Tasche. Seine Finger schlössen sich um den kleinen Laubfrosch, ertasteten die glatte, runde Oberfläche seines Rückens. Zentimeter um Zentimeter zog er den Frosch aus seiner Tasche heraus und setzte ihn dann behutsam, ganz behutsam auf Francis' Schulter.
Mitten in Francis' Solo stieß der Frosch ein lautes Ribbit aus und sprang auf Mary Ann McCallisters Kopf. Und danach brach die Hölle aus.
Mädchen kreischten und schlugen um sich und stoben auseinander. Die Jungen hüpften und sprangen hinter dem Frosch her. Und der Priester starrte Angel nur an und schüttelte seinen Kopf.
Angel lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. Nach einer langen Minute fiel Francis ein und die beiden standen dort und lachten inmitten des Infernos. Und schließlich wischte Francis sich die Tränen aus dem Gesicht und reichte Angel seinen ersten Kommunionsrosenkranz. »Hier, Angel«, sagte er grinsend. »Du wirst garantiert zwei brauchen.«
Francis' Worte hallten nach, während das Bild der Kirche sich verschob und zu verschwinden begann.
Plötzlich fand Angel sich auf der Wiese wieder, stand knietief in gefrierendem Schnee. Der Himmel über ihm war so schwarz wie ein Krähenflügel und Schnee fiel mit einer Heftigkeit, die ihn blendete, landete in winzigen brennenden Flecken auf seinen Wangen. Er stand allein dort, wusste nicht, was er sagen sollte, und sein Herz hämmerte in seiner Brust.
Dann kam Francis auf ihn zu, schwebte heran, streckte die Arme nach ihm aus.
Angel nahm die Hand seines Bruders und klammerte sich an sie. »Es tut mir Leid, Franco«, flüsterte er und merkte, dass er zu weinen begann. »Es tut mir Leid, Jesus Christus, es tut mir Leid...«
»Psst«, sagte Francis mit einem Lächeln, einem ruhigen, breiten Lächeln, bei dem seine Augen zu Schlitzen wurden. »Ich weiß.« Er drückte Angels Hand. »Halt dich fest, Bruder. Ich bin bei dir.«
Und Angel erwachte weinend.
Madelaine stand in der offenen Tür des Operationssaals 8 und überlegte, was sie mit Angel machen sollte. Allenford und seine OP-Schwester standen an dem Bett und bereiteten Angel auf seine erste Biopsie nach der Operation vor. Selbst von hier aus hörte Madelaine Angels wütende Stimme.
Seine Stimmungsschwankungen waren unberechenbar. In der einen Minute war er noch folgsam und charmant und in der nächsten - bumm\ Er bekam jene Art von Wutanfällen, die fast zur Legende wurden, bevor sie vorbei waren. Krankenschwestern hatten damit begonnen, Strohhalme zu ziehen, um zu sehen, wer seine Lebensfunktionen zu überprüfen und ihn mit Medikamenten zu versorgen hatte. Er war auf der Intensivstation zu einem gefürchteten Monster geworden.
Rein körperlich verlief alles gut. Alle intravenösen Medikamente waren abgesetzt worden, einschließlich Dopamin
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