Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
dass es das Blut von Francis war.
Der Mann fuhr sich mit einer Hand durch das lichte Haar und seufzte schwer. Er schaute von Madelaine zu Lina und wieder zurück zu Madelaine. »Sie sind Mrs DeMarco?«
Es war seltsam, wie sehr die Frage schmerzte. Sie schüttelte den Kopf, rang die Hände und bewegte sich auf ihn zu, ihren Blick starr auf sein Gesicht gerichtet, nach Antworten suchend und stumm um Hoffnung bittend. »Nein, ich bin Dr. Madelaine Hillyard - Herzspezialistin, St. Joe's«, fügte sie überflüssigerweise hinzu und überlegte, warum sie das gesagt hatte. »Dies ist meine Tochter, Lina. Wir sind Franciss ... Familie.«
»Es tut mir Leid, Dr. Hillyard ...«
Sie hörte sonst nichts mehr. Blut dröhnte in ihren Ohren und sie konnte nicht atmen. Für eine entsetzliche Sekunde glaubte sie, sich übergeben zu müssen, direkt hier, auf den Boden des Wartezimmers.
»Die Verletzung war zu schwer...«
Sie atmete lange und zitternd ein, ballte die Hände zu Fäusten. Sie spürte, wie ihre Nägel sich in das Fleisch gruben, die Haut zerfetzten, als sie um Fassung rang. Der Schmerz war ihr willkommen - er gab ihr etwas, worüber sie nachdenken konnte, wenngleich nur kurz. Was dann schließlich aus dem Durcheinander ihres Verstandes kam, was sie artikulierte, waren Fragen, sachliche, präzise, logische Fragen, die sich wie eine Schutzhülle um ihren weißen Kittel schlössen. »Ich muss seine Akte einsehen. Was ist passiert?«
»Hirnstammverletzung«, sagte er sanft, gerade so, als ob eine weichere Stimme einen Unterschied machte, wenn die Worte so kalt und hässlich waren. »Er ist durch die Windschutzscheibe seines Autos geschleudert worden und dann mit dem Kopf gegen einen Baum geprallt. Massive intrakranielle hämorrhagische Diathese. Wir haben ihn gerade auf die Intensivstation gebracht, aber...«
»Was?«, schrie Lina. »Heißt das, er lebt?« Sie sah Madelaine offensichtlich verwirrt an, schaute dann wieder zu dem Chirugen. »Sie sagten, es würde Ihnen Leid tun ...«
Nusbaum ließ sich bei der Wahl seiner Worte einen Augenblick Zeit. »Rein physisch lebt er - vermittels maximaler Intervention.«
»Maximale Intervention?«, sagte Lina. Ihre Stimme war schrill. »Was zum Teufel ist das?«
Nusbaum schaute betont Madelaine an. »Ich habe drei EEGs gemacht. Sie sind völlig flach ...« Er beendete den Satz nicht, aber Madelaine wusste, was das bedeutete. Drei flache EEGs und ein Patient wurde gesetzlich für hirntot erklärt.
»Es tut mir Leid«, sagte er wieder.
Sie starrte ihn ausdruckslos an, dachte an all die vielen Male, als sie den gleichen sinnlosen Satz zu Menschen gesagt hatte - Es tut mir Leid, Herr Soundso ... alles versucht... Verletzungen waren zu schwer. Ihr war nie bewusst geworden, wie spröde und untröstlich die Worte waren, wie sie einem ins Innerste drangen und alles darin umdrehten, an den Eingeweiden zerrten, bis man keine Kraft mehr hatte.
Ein entsetzlich vertrautes Bild ging ihr durch den Kopf. Sie sah Francis, ihren Francis, irgendwo in diesem höhienartigen Gebäude in einem Bett liegen, seinen Körper verbunden mit einem Dutzend Maschinen, seine Augen - seine warmen, liebevollen Augen - leer an die Decke starrend. Sie spürte tief in ihrem Inneren einen Schrei aufsteigen, immer gewaltiger werdend, von einer solchen Gewalt, dass er sie zu ersticken drohte.
»Was sagt er, Mom?«, fragte Lina.
Madelaine schaute ihre Tochter an und sah dort ein sechsjähriges Mädchen stehen, ein Mädchen mit zerzausten Zöpfen, über deren hellrosa Wangen Tränen rannen. Für einen Sekundenbruchteil schwand ihr eigenes Leid und sie konnte nur an ihr kleines Mädchen denken und daran, was diese Neuigkeiten bei ihr anrichteten, was jede Sekunde dieses Augenblicks für den Rest ihres Lebens bei ihr anrichten würde. Mit dieser Situation wollte sie richtig umgehen, wollte den Unterschied zwischen einem Koma und einem Hirntod erklären. Wollte, dass Lina wirklich verstand, dass die Maschinen Francis' Körper zwar am Leben erhielten, aber dass seine Seele gegangen war und dass der Körper sich bald selbst abschalten würde, gleich, ob mit oder ohne die Maschinen. Der Körper wusste, wann sein Gehirn tot war ...
Aber sie konnte die richtigen Worte nicht finden oder überhaupt Worte.
Das Gefühl von Versagen drängte sich durch ihren Schmerz und zog sie hinab, erdrückte sie. Sie durchquerte langsam das Zimmer und schlang einen Arm um Linas schmale Schultern. »Er sagt, dass Francis von uns gegangen
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