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Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft

Titel: Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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tun, konnte es nicht, konnte ihn nicht ansehen und danach schlafen. Nicht, wenn diese Augen leer waren, nicht, wenn er sie nicht anlächeln und seine Hand ausstrecken konnte. »Ich kann ihn so nicht ansehen ...«
    Ihre Mutter trat näher zu ihr, strich ihr mit einer kalten Hand beruhigend über die Wange. Lina wartete darauf, dass ihre Mutter sie ansah, aber das tat sie nicht, sondern starrte nur auf dieses Fenster und den Vorhang.
    »Ich sah meine Mutter, nachdem sie gestorben war«, sagte sie schließlich mit einer Stimme, die so verzerrt war, dass Lina sie kaum erkannte. »Mein Vater führte mich in ihr dunkles Schlafzimmer und sagte mir, ich solle sie ansehen, ihre Wange berühren ... Sie war so kalt.« Sie erschauerte leicht und zog ihre Hand zurück, verschränkte ihre Arme. »So viele Jahre danach, immer dann, wenn ich an meine Mutter dachte, dachte ich an... das falsche Bild, hatte die falsche Erinnerung. «
    Endlich wandte sie sich an Lina. »Ich möchte nicht, dass es dir auch so geht, Baby. Ich möchte, dass du Francis so in Erinnerung behältst, wie er war.« Ihre Stimme brach.
    War.
    »Du hättest es mir sagen sollen, Mom.«
    Madelaine runzelte leicht die Stirn. »Was meinst du damit?«
    Lina starrte auf das Fenster, auf die schattenhafte Kontur des Mannes, dessen Anwesenheit sie so viele Male als ganz selbstverständlich hingenommen hatte. Der Mann, der ihre Tränen getrocknet hatte, als sie ein kleines Mädchen war, der ihre Hand gehalten hatte, wenn sie sich fürchtete. Bis zu diesem Augenblick war ihr überhaupt nicht bewusst gewesen, wie viel von ihrer Welt sich ausschließlich um ihn drehte. Wie sehr sie ihn liebte. »Als ich meine Wutanfälle bekam und nach meinem Vater suchte ...« Sie begann zu weinen. Es waren heiße, brennende Tränen, die über ihre Wangen rollten und auf ihr T-Shirt fielen. »Du hättest mir sagen sollen, dass er die ganze Zeit da war.«

Kapitel 16
    Madelaine griff nach dem Türknopf. Sie schaute Lina, die ihrem Blick auswich, noch ein letztes Mal von der Seite an und stieß dann die Tür auf.
    Geräusche empfingen sie, Geräusche, die sie schon Millionen Mal in ihrem Leben gehört hatte - das Zischen und Schnaufen des Beatmungsgerätes, das gleichmäßige elektronische Summen des Kardiographen. Eigentlich sollten sie überhaupt nichts bedeuten, diese Geräusche, die ihr so vertraut waren wie ihr eigenes Atmen, doch plötzlich, hier in der Enge dieses kleinen, dunklen Raumes, wirkten sie geradezu obszön laut.
    Sie holte tief Atem, schloss die Tür und ging hinein, begab sich in weitem Bogen an die andere Seite des Bettes, um den Vorhang nicht aufziehen zu müssen.
    Er lag in dem schmalen, metallvergitterten Bett, die Decken bis zu seinem schlaffen Kinn hochgezogen, die Arme schützend an seine Seiten gepresst. Durchsichtige Plastikschläuche führten in seinen Mund und seine Nase. Der eine führte in seine Lunge, um ihn zu beatmen, der andere versorgte ihn mit einem ständigen Tropfen von Flüssigkeiten. Flaschen und Beutel hingen an Metallständern neben dem Bett. Ein Gewirr von Plastikschläuchen führte zu seinen Handgelenken, seiner Kehle und seiner Brust. Eine riesige, farblose Gazelage verbarg die eine Hälfte seines Gesichts.
    Bis auf das Dreieck von mattem Licht, das von der Straßenlaterne draußen hereinfiel, war das Zimmer dunkel. Er sah völlig ruhig und gelassen aus, so, als sei es ihm völlig egal, dass Plastikschläuche in seinem Körper steckten und Luft durch seine Lunge pumpten.
    Sie war so unsicher, dass sie sich an den Gitterstäben festhalten musste, um nicht umzufallen. Schließlich streckte sie eine Hand aus, strich eine Locke von seinen Augen weg und steckte sie unter die weiße Kante des Verbandes. Neben ihr schmatzte und pumpte das Beatmungsgerät. Seine Brust hob und senkte sich, hob und senkte sich.
    Sie wollte jetzt, in diesem Augenblick, an ein Wunder glauben, wollte glauben, dass sie seine Hände nehmen und sich dicht an sein Ohr beugen könnte, um ihm zu helfen, seinen Weg zurück zu ihr zu finden, ihn von dem Licht wegzuführen, von dem so viele Patienten gesprochen hatten.
    Aber sie war schon zu lange Ärztin. Sein EEG war absolut flach. Er hatte auf die Schmerzempfindlichkeitstests keine Reaktion gezeigt. Nichts. In ihm war einfach kein Leben mehr.
    Er würde sie nie wieder anlächeln, sie nie wieder sein Maddy-Mädchen nennen.
    Bei diesem Gedanken stieg der Kummer, den sie zu unterdrücken versucht hatte, heftig in ihr auf, erfüllte sie

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