Kristin Lavranstochter 1
und haben versucht, in allen Dingen nach Gottes Gebot zu leben. Und es dünkt mich fast - wir wären vielleicht froher gewesen, wenn wir jetzt etwas mehr zu bereuen hätten ..."
„Rede nicht so, du“, bat die Frau verzweifelt und preßte ihre mageren Hände um seine Schläfen. „Du weißt doch wohl, ich will nicht, daß du etwas anderes tust, als was dich selbst recht dünkt.“
Er zog sie an sich, noch einmal - dabei stöhnte er laut:
„Gott helfe ihr. Gott helfe uns allen, Ragnfrid. - Ich bin müde“, sagte er dann und ließ sie los. „Du willst jetzt wohl auch zur Ruhe gehen?“
Er blieb an der Türe stehen und wartete, während sie das Feuer auf dem Herd löschte, die kleine eiserne Lampe am Webstuhl ausblies und die Glut zerdrückte. Sie gingen miteinander durch den Regen zum Wohnhaus hinüber. - Lavrans hatte schon den Fuß auf die Treppe gesetzt, als er sich zu seiner Frau zurückwandte, die noch in der Türe zum Vorraum stand. Er zog sie noch ein letztes Mal heftig an sich und küßte sie im Dunkeln. Dann machte er das Zeichen des Kreuzes über ihrem Gesicht und ging hinauf.
Ragnfrid warf die Kleider ab und kroch ins Bett. Eine Zeitlang lag sie da und lauschte auf die Schritte des Mannes oben in der Dachstube - dann knackte das Bett dort oben, und es wurde still. Ragnfrid kreuzte die hageren Arme über ihren welken Brüsten.
Ja, Gott steh mir bei, dachte sie. Was war sie doch für eine Frau, was war sie doch für eine Mutter. Nun war sie bald alt. Und immer noch war sie die gleiche. Sie bettelte nicht mehr wie damals, als sie beide jung waren, als sie diesen Mann bestürmt und bedrängt hatte, der sich in sich verschloß, scheu und beschämt, wenn sie heftig wurde - der kalt wurde, wenn sie ihm mehr geben wollte als sein Gattenrecht. So war es gewesen, und so hatte sie ihre Kinder empfangen, jedesmal - gedemütigt, rasend vor Scham, weil sie sich nicht mit seiner lauen Gattenliebe begnügen konnte. Dann, wenn sie ein Kind erwartete und der Güte und Zartheit bedurfte, dann hatte er so viel zu geben gehabt. Wenn sie krank und geplagt war, fiel des Mannes unermüdliche, sanfte Fürsorge für sie wie Tau auf ihr heißes Gemüt. Gerne nahm er ihr jede Last ab und trug sie selbst - aber etwas war in seinem innersten Wesen verschlossen, was er nicht geben wollte. Sie hatte ihre Kinder so geliebt, daß es war, als würde ihr das Herz herausgerissen, sooft sie eines verlor. -Gott, Gott, wie war sie doch beschaffen, die mitten in allen Qualen jenen Tropfen der Süßigkeit hatte schmecken können, daß er ihren Kummer an sich nahm und ihn an den seinen legte?
Kristin - gerne wäre sie für ihre Tochter durchs Feuer gegangen, sie glaubten das nicht, nicht Lavrans und nicht das Kind, aber es war so. Trotzdem fühlte sie einen Zorn gegen sie, der einem Haß glich. Um seinen Kummer über den Kummer des Kindes zu vergessen, hatte er heute abend gewünscht, sich in seinem Weib zu erlösen.
Ragnfrid wagte nicht, aufzustehen, denn sie wußte nicht, ob
Kristin in dem anderen Bett vielleicht wach lag. Aber sie erhob sich lautlos auf die Knie, und die Stirn auf das Fußende des Bettes gelegt, versuchte sie zu beten. Für die Tochter, für ihren Mann und für sich selbst. Während die Kälte nach und nach ihren Körper erstarren ließ, zog sie wieder auf eine ihrer wohl-bekannten Nachtwanderungen aus und versuchte ihrem Herzen einen Weg zu einer Friedensheimat zu bahnen.
3
Haugen lag hoch oben an den Hängen auf der Westseite des Tales. In dieser Mondnacht war die ganze Welt weiß. Woge auf Woge wölbten sich die weißen Berge unter dem sternenarmen blaßblauen Himmel. Selbst die Schatten, die Felskuppen und Bergrücken über die Schneeflächen hinwarfen, schienen seltsam leicht und hell, denn der Mond segelte so hoch dahin.
Leuchtend weiß von Schnee und Reif zog sich der Wald rings um die weißen Flächen der Wiesen und Felder mit ihrem kleinen Gewimmel von Zäunen und Häusern zum Tal hinab. Aber ganz unten auf der Talsohle verdichteten sich die Schatten zur Dunkelheit.
Frau Aashild kam aus dem Stall, schloß ihn hinter sich zu und blieb ein wenig im Schnee draußen stehen. Weiß war die ganze Welt, und doch währte es noch über drei Wochen, bis die Adventszeit begann. Kälte zur Klemensmesse - da war der Winter wohl allen Ernstes gekommen. O ja, das gehörte gerne zum Mißjahr.
Die alte Frau seufzte schwer in die Öde hinaus. Wiederum Winter und Kälte und Einsamkeit. - Dann nahm sie den Melkeimer und das
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