Kristin Lavranstochter 1
Herbst aus der Erde aufsteigt, wenn auch die Tage noch so warm sind und die Luft noch so klar ist.
Die Menge unten auf dem Hofplatz teilte sich und machte dem Gefolge des Bräutigams Platz. Die jungen Brautherren ritten gerade vor; unter den Frauen auf dem Altan entstand Unruhe.
Frau Aashild war neben der Braut.
„Halte dich nun gut, Kristin“, sagte sie, „jetzt hast du nicht mehr weit, bis du unter der Frauenhaube geborgen bist.“
Kristin nickte hilflos. Sie fühlte, wie entsetzlich weiß sie im Gesicht sein mußte.
„Ich bin wohl allzu bleich für eine Braut“, sagte sie leise.
„Du bist die schönste Braut“, antwortete Aashild, „und dort reitet Erlend - schönere zwei als euch muß man suchen gehen.“
Erlend selbst ritt bis unter den Altan. Er sprang vom Pferde, leicht und ungehemmt von den schweren faltenreichen Gewändern. Kristin erschien er so schön, daß es ihr im ganzen Körper weh tat.
Er war dunkel gekleidet in ein bis auf die Füße reichendes, geschlitztes Seidengewand von welkbrauner Farbe, mit eingewebtem schwarzem und weißem Muster. Um den Leib hatte er einen goldgeschmückten Gürtel und an der linken Hüfte ein Schwert mit Gold am Heft und an der Scheide. Über seine Schultern fiel ein schwerer dunkelblauer Samtumhang herab, und auf dem schwarzen Haar trug er eine schwarze französische seidene Mütze, die an den Seiten wie Flügel zusammengefaltet war und in zwei lange Enden auslief; das eine Ende war von der linken Schulter quer über die Brust nach hinten geworfen.
Erlend grüßte seine Braut, trat zu ihrem Pferd und stellte sich dort mit der Hand am Sattelknopf auf, während Lavrans die Treppe hinaufstieg. Kristin wurde so sonderbar und schwindlig zumute bei all dieser Pracht - der Vater sah so fremd aus in dem feierlichen, bis auf die Füße reichenden grünen Samtgewand. Aber die Mutter war graubleich unter dem Kopftuch in ihrem roten Seidenkleid. Ragnfrid kam herzu und legte ihrer Tochter den Umhang um.
Dann nahm Lavrans die Braut bei der Hand und führte sie zu Erlend hinunter. Der hob sie auf das Pferd und stieg dann selbst in den Sattel. So hielten die beiden Seite an Seite vor dem Brauthaus, während der Zug sich in Bewegung setzte und durch das Hoftor hinausritt. Voran die Priester, Sira Eirik und Sira Tormud von Uldsvolden, ein Kreuzesbruder von Hamar, der ein Freund des Vaters war. Dann ritten die Brautherren und die Jungfrauen, Paar auf Paar. Und nun war die Reihe an Erlend und ihr. Nach ihnen kamen die Eltern der Braut, die Verwandten, Freunde und Gäste in langer Reihe zwischen den Zäunen, die zur Landstraße führten. Ein langes Stück weit waren Vogelbeertrauben, Tannenzweige und die letzten weißen Baldersblümlein des Herbstes gestreut, und längs dem Wege, den der Zug nehmen sollte, standen viele Leute und grüßten mit Zurufen.
Am Sonntag gleich nach Sonnenuntergang kehrte der Reiterzug nach Jörundhof zurück.
Durch die erste Dämmerung leuchteten die roten Feuer vom hochzeitlichen Hofe her. Die Spielleute sangen und ließen Geigen und Trommeln ertönen, während die Schar dem warmen roten Schein entgegenritt.
Kristin fiel fast vornüber, als Erlend sie vor dem Altan des Brauthauses vom Pferde hob.
„Ich fror so auf dem Weg über das Gebirge“, flüsterte sie, „ich bin so müde.“ Sie blieb ein wenig stehen - als sie die Treppe hinaufstieg, wankte sie bei jeder Stufe.
Oben in der Feststube wurde es den verfrorenen Hochzeitsgästen bald wieder warm - alle die Kerzen, die in dem Raum brannten, verbreiteten Wärme, dampfend heißes Essen wurde herumgeboten, und Wein und Met und starkes Bier machten die Runde. Der Lärm der Stimmen und das Geräusch der essenden Menschen toste wie von ferne in Kristins Ohren. Sie saß da und konnte nicht recht warm werden. Nach einiger Zeit brannten ihre Wangen, aber die Füße wollten nicht auftauen, und über den Rücken liefen ihr Frostschauer hinab. All das schwere Gold drückte sie nach vorne, wie sie so im Hochsitz an Erlends Seite saß.
Sooft der Bräutigam ihr zutrank, mußte sie auf die roten Flecken sehen, die jetzt, da er nach dem Ritt in der Kälte nach und nach warm wurde, in seinem Gesicht so deutlich sichtbar wurden. Es waren die Male von den Brandwunden im Sommer.
Ein fürchterlicher Schrecken war gestern abend über sie gekommen, als sie auf Sundbu zu Tisch saßen. Als sie Björn Gunnarssohn erloschenem Blick begegnete, der auf ihr und Erlend ruhte - jenen Augen, die sich nicht rührten und
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