Kristin Lavranstochter 1
hatte, da würde das Spiel zu Ende gespielt sein.
Kristin dachte, wenn sie nun schreien würde, daß es den Gesang und die tiefen, betenden Männerstimmen übertönte, daß es über die Menschen hinhallte, würde sie dann Elines Gesicht loswerden - würde dann in die Augen des toten Mannes Leben kommen? Aber sie biß die Zähne zusammen.
Heiliger König Olav, ich rufe dich an. Dich bitte ich vor allen anderen im Himmel um Hilfe, denn ich weiß, du liebtest Gottes Gerechtigkeit über alles. Ich rufe dich an, du mögest deine Hand auf das Unschuldige, das in meinem Mutterleibe ist, legen. Wende Gottes Zorn von dem Unschuldigen ab, wende ihn auf mich. Amen im teuren Namen des Herrn.
Meine Kinder, sagte Eline, sind unschuldig, und es gibt doch keinen Platz für sie in den Ländern der Christenheit. Dein Kind ist in der Acht gezeugt wie meine Kinder. Du kannst in dem Land, das du hinter dir gelassen hast, nicht mehr Recht für dein Kind fordern, als ich es für die meinen fordern konnte.
Heiliger Olav, ich bitte dich trotzdem um Barmherzigkeit. Bitte um Gnade für meinen Sohn, nimm ihn in deinen Schutz, dann werde ich ihn mit bloßen Füßen zu deiner Kirche tragen, ich werde meinen goldenen Stirnschmuck zu dir bringen und ihn auf deinem Altar niederlegen, wenn du mir helfen willst. Amen.
Ihr Gesicht war starr wie Stein, so kämpfte sie, um ruhig zu bleiben, aber es zuckte und bebte in ihrem Körper, während sie auf den Knien lag und Erlend angetraut wurde.
Und jetzt saß sie neben ihm im Hochsitz und empfand alles rings um sich nur wie eine Luftspiegelung in der Betäubung des Fiebers.
Es waren Spielleute da, die auf Harfen und Geigen spielten, und es spielte und sang von unten in der Stube und von draußen im Hofe herauf. Ein Schein von rotem Feuer drang herein, wenn die Türen geöffnet und die Speisen aus und ein getragen wurden.
Ringsum am Tisch erhob man sich, sie stand zwischen ihrem Vater und Erlend. Mit lauter Stimme verkündete der Vater, daß er nun seine Tochter Kristin Erlend Nikulaussohn zum Weibe gegeben habe. Erlend dankte seinem Schwiegervater und dankte allen guten Leuten, die sich versammelt hatten, um ihn und sein Weib zu ehren.
Nun hieß es, Kristin solle sich setzen, und Erlend legte ihr seine Brautgaben in den Schoß. Sira Eirik und Herr Munan Baardssohn rollten Urkunden auf und verlasen das Besitztum des Paares. Währenddessen standen die Brautherren mit den Speeren in den Händen da und stießen ab und zu während der Verlesung und wenn die Gaben und die Geldsäcke auf den Tisch gelegt wurden mit den Speerschäften auf den Boden.
Die Tischplatten und Tischböcke wurden hinausgeräumt, Erlend führte Kristin mitten in die Stube, und sie tanzten. Kristin dachte, unsere Brautherren und Brautjungfern sind allzu jung für uns - alle, die mit uns jung waren, sind weggezogen aus diesen Gefilden, wie sind wir hierher zurückgekommen?
„Du bist so seltsam, Kristin“, flüsterte Erlend während des Tanzes. „Ich habe Angst um dich, Kristin - bist du nicht froh?“
Sie gingen von Gebäude zu Gebäude und begrüßten ihre Gäste. Es brannten viele Kerzen in allen Stuben, und überall war es voll von trinkenden und singenden Menschen, und allerorten wurde getanzt. Kristin war es, als kenne sie sich nicht mehr aus daheim; sie hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren', die Stunden und Bilder flossen so merkwürdig unzusammenhängend durcheinander.
Die Herbstnacht war mild; auch im Hofraum saßen Spielleute, und das Volk tanzte um das Feuer. Sie schrien, das Brautpaar möchte auch ihnen die Ehre erweisen, und sie tanzte mit Erlend auf dem kalten taufeuchten Hofplatz. Ihr Kopf wurde gleichsam ein wenig wacher und klarer davon.
Draußen im Dunkeln schwamm ein helles Nebelband über dem Fluß. Die Berge standen tiefschwarz gegen die sternenbesäte Luft.
Erlend führte Kristin vom Tanze weg - preßte sie unter einem Altan im Dunkeln an sich.
„Ich habe es dir noch nicht einmal sagen können - du bist so schön, so schön und so lieblich. Deine Wangen sind so rot wie Flammen“, er drückte gleichzeitig seine Wange an die ihre. „Kristin, was ist mit dir?“
„Ich bin so müde, so müde“, flüsterte sie zurück.
„Nun werden wir bald schlafen gehen“, antwortete der Bräutigam und blickte zum Himmel hinauf. Die Milchstraße hatte sich gedreht und stand fast genau von Süden nach Norden. „Weißt du auch, daß wir nicht mehr miteinander geschlafen haben seit jener einzigen Nacht, die ich
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