Kristin Lavranstochter 1
nicht blinzelten. Man hatte Herrn Björn in das Rittergewand gekleidet - er sah aus wie ein toter Mann, der durch Zauberei wieder zum Leben erweckt worden war.
Nachts schlief sie zusammen mit Frau Aashild - sie war die nächste Verwandte des Bräutigams.
„Was ist mit dir, Kristin?“ sagte Frau Aashild ein wenig ungeduldig. „Jetzt mußt du bis zum Ende durchhalten und dir nicht so nachgeben.“
„Ich denke an alle die“, sagte Kristin schaudernd, „denen wir wehe getan haben, um diesen Tag erleben zu können.“
„Ihr habt es wohl auch nicht nur gut gehabt“, meinte Frau Aashild. „Erlend gewiß nicht. Und ich meine, du hattest es noch schlimmer.“
„Ich denke an seine schutzlosen Kinder“, sagte die Braut wie vorher, „ich möchte wissen, ob sie ahnen, daß ihr Vater heute Hochzeit feiert.“
„Denk an dein eigenes Kind“, sagte Aashild. „Sei froh, daß du mit ihm, mit dem Vater deines Kindes, Hochzeit feiern kannst.“
Kristin lag da, zum Versinken schwindlig. Es war so seltsam, das ausgesprochen zu hören, was seit drei Monaten und noch länger sie jeden einzigen Tag erfüllt hatte, ohne daß sie einer lebenden Seele auch nur ein Wort hatte sagen dürfen. Aber dies half ihr nur eine kleine Weile.
„Ich denke an sie, die es mit dem Leben hat büßen müssen, daß sie Erlend liebgehabt hat“, flüsterte sie bebend.
„Es kann sein, daß du es selbst mit dem Leben büßen mußt, noch ehe du um ein halbes Jahr älter bist“, sagte Frau Aashild hart. „Freue dich, solange du dich noch freuen kannst. Was soll ich dir denn sagen, Kristin“, fuhr die ältere Frau milde fort, „hast du denn den Mut ganz verloren? Es wird noch früh genug von euch verlangt werden, daß ihr alles bezahlt, was ihr euch genommen habt - mach dir darüber keine Gedanken.“
Aber Kristin war es, als stürze in ihrem Gemüt Lawine auf
Lawine herab, alles wurde niedergerissen, was sie seit jenem Schreckenstag auf Haugen aufgebaut hatte. In der ersten Zeit hatte sie wild und blind nur daran gedacht, auszuhalten. Und sie hatte ausgehalten, bis es leichter geworden war und sich dem Ende zuneigte, da hatte sie alle Gedanken von sich geschoben außer dem einen, daß sie nun endlich Hochzeit feiern würde, endlich Erlends Hochzeit.
Sie und Erlend knieten während der Brautmesse nebeneinander. Aber alles war wie ein Traumgesicht gewesen: die Kerzen, die Bilder, die blinkenden Gefäße, die Priester in Chorhemd und Meßgewand. Alle Menschen, die sie von früher her kannte, schienen ihr wie Traumbilder, die die Kirche in ihren fremden Feiertagsgewändern füllten. Aber Herr Björn stand an einer Säule und blickte mit seinen toten Augen zu ihnen hin, und es dünkte sie, die andere Tote müsse mit ihm, in seinem Arm, zu ihnen zurückgekommen sein.
Sie versuchte zu Sankt Olavs Bildnis aufzusehen - rot und weiß und schön stand er auf seine Axt gelehnt und trat sein eigenes sündiges menschliches Wesen unter die Füße -, aber Herr Björn zog ihren Blick an. Und in seiner Nähe sah sie Eline Ormstochters totes Gesicht, gleichgültig blickte sie Kristin an Sie waren über Eline hinweggeschritten, um bis hierher zu gelangen - und Eline gönnte es ihnen.
Sie hatte sich aufgerichtet, hatte all die Steine weggewälzt, die Kristin auf die Tote aufzuhäufen versucht hatte: Erlends vergeudete Jugend, den Verlust seiner Ehre und seines Wohlergehens, der Gunst der Freunde, des Heiles seiner Seele. Die Tote schüttelte das alles von sich ab. Er wollte mich haben und ich wollte ihn haben, du wolltest ihn haben und er wollte dich haben, sagte Eline. Ich habe gebüßt, und er muß büßen, und du mußt büßen, wenn deine Zeit gekommen ist. Wenn die Sünde vollendet ist, gebiert sie tot.
Ihr war, als kniee sie mit Erlend auf einem kalten Stein. Er kniete da, mit den roten Brandflecken in seinem bleichen Gesicht; sie kniete unter der schweren Brautkrone und spürte das dumpfe, drückende Gewicht in ihrem Schoße - die Sündenbürde, die sie trug. Sie hatte mit ihrer Sünde gespielt und sich mit ihr getummelt, sie gemessen wie in kindlichem Spiel. Heilige Jungfrau! Jetzt war bald die Zeit erfüllt, daß sie vollendet vor ihr liegen, sie mit lebendigen Augen ansehen, ihr die Brandmale der Sünde zeigen würde, die häßliche Gebrechlichkeit der
Sünde, haßerfüllt mit gerungenen Händen gegen die Brust ihrer Mutter schlagen würde. Wenn sie ihr Kind geboren hatte, die Sündenmale daran sah und es liebte, wie sie ihre Sünde geliebt
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