Kristin Lavranstochter 1
Menschen, unter denen Erlend und sie leben sollten, deren Achtung und Freundschaft sie gewinnen mußten. Sie waren es, die Erlends Torheiten und Un-
glück alle die Jahre über vor Augen gehabt hatten. Und jetzt glaubte er selbst, er habe seinen Ruf vor ihnen wiederhergestellt, dürfe nun auf jenem Platz zwischen seinesgleichen stehen, der ihm nach Geburt und Vermögen zustehe. Nun würde er wohl zum Gelächter in den Gemeinden hier werden, wenn es aufkam, daß er sich mit seiner eigenen angelobten Braut vergangen hatte.
Der Abt beugte sich zu ihr hinüber.
„Ihr seht so ernsthaft aus, Kristin Lavranstochter. Habt Ihr die Seekrankheit noch nicht überstanden? Oder sehnt Ihr Euch vielleicht nach Eurer Mutter?“
„Ach ja, Herr“, sagte Kristin leise. „Ich denke wahrlich an meine Mutter.“
Sie waren nach Skaun hinaufgekommen. Sie ritten hoch oben am Hang entlang. Unter ihnen auf der Talsohle stand der Laubwald weiß und zottig vom Reif; es glitzerte in der Sonne, es blinkte von einem kleinen blauen See dort unten. Dann kamen sie aus einem Tannengehölz heraus. Erlend deutete vorwärts.
„Da siehst du Husaby, Kristin. Gott gönne dir viele frohe Tage dort, mein Weib!“ sagte er mit warmer Stimme.
Vor ihnen dehnten sich große bereifte Äcker aus. Der Hof lag auf einer breiten Stufe mitten am Hang, ganz nahe einer hellen kleinen Steinkirche - die Häuser standen gerade südlich davon; es waren ihrer viele, und sie waren groß; der Rauch wirbelte aus den Dachöffnungen. Die Glocken der Kirche hoben zu läuten an, und vom Hof strömten die Menschen dem Zug entgegen, rufend und grüßend. Die jungen Männer des Brautgefolges schlugen ihre Waffen gegeneinander - mit Lärm und Getöse und Freudengeschrei zog die Schar auf dem Hof des jungverheirateten Mannes ein.
Vor der Kirche machten sie halt; Erlend hob seine junge Frau vom Pferd und geleitete sie zur Tür, wo eine ganze Schar von Priestern und Klerikern sie empfing. Es war bitter kalt drinnen, und das Tageslicht sickerte durch die kleinen rundbogigen Fenster im Langschiff herein, so daß der Kerzenglanz im Chor verblaßte.
Kristin fühlte sich verloren und ängstlich, als Erlend ihre Hand losließ und sich auf die Seite der Männer hinüberbegab, während sie selbst sich in die Schar der fremden, feiertäglich gekleideten Frauen einreihte. Das Amt war sehr schön. Aber
Kristin fror, und als sie versuchte, ihr Herz zu erleichtern und emporzuheben, schien es ihr, als würden ihre Gebete zu ihr zurückgehaucht. Sie dachte, es sei vielleicht kein gutes Zeichen, daß es Sankt-Simons-Tag war, da dies doch der Schutzheilige jenes Mannes war, an dem sie nicht gut gehandelt hatte.
Von der Kirche aus begab sich die Menge, zum Zug geordnet, auf den Hof hinunter: zuerst die Priester, dann Kristin und Erlend Hand in Hand und die Gäste paarweise hinterher. Kristin vermochte sich nicht so weit zu fassen, daß sie den Hof genauer betrachten konnte. Der Hofplatz war lang und schmal; die Häuser lagen in zwei Reihen auf der Süd- und auf der Nordseite. Sie waren mächtig und dicht zusammengebaut, schienen aber alt und verfallen zu sein.
Der Zug hielt vor der Tür zum Wohnhaus an, und die Priester sprengten Weihwasser. Dann führte Erlend die junge Frau durch eine dunkle Vorstube. Zu ihrer Rechten wurde eine Tür aufgestoßen, die in strahlendes Licht führte. Gebückt trat sie durch den Türrahmen und stand mit Erlend in seiner Halle.
Es war die größte Stube, die sie je auf einem Hof gesehen hatte. Mitten im Raum befand sich eine Herdstätte, die war so lang, daß an ihren beiden Enden je ein Feuer brannte, und die Halle war so breit, daß die Querbalken mit geschnitzten Holzsäulen abgestützt waren; der Raum dünkte sie eher eine Kirche oder eine Königshalle zu sein denn eine Stube auf einem Hof. Oben am östlichen Giebel, wo an der Schmalseite der Hochsitz sich aus der Mitte der Bank hervorhob, waren geschlossene Betten zwischen den Wänden und den Säulen eingebaut.
Und jetzt brannte solch eine Menge Lichter im Raum: auf den mit kostbaren Schüsseln und Platten beladenen Tischen und auf Kerzenhaltern, die an den Wänden befestigt waren. Nach alter Zeiten Brauch hingen Waffen und Schilde zwischen den ausgespannten Teppichen. Hinter dem Hochsitz war die Wand mit einem Stück Samt verkleidet, und dorthin hängte nun ein Mann Erlends goldverziertes Schwert und seinen weißen Schild mit dem roten springenden Löwen.
Dienstleute und Frauen aus dem Gesinde hatten
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