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Kristin Lavranstochter 1

Titel: Kristin Lavranstochter 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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es für mich nicht leicht sein wird, hier im Winter allem vorzustehen, ein Neuling, wie ich hier im Norden des Gebirges bin, und unbekannt mit unseren Leuten. Gut gehandelt wäre es von dir, wenn du mir helfen und mich anweisen wolltest.“
    „Ich begreife es, Kristin, leicht wirst du es nicht haben in diesem Winter“, sagte der Mann und sah sie mit einem kleinen Lächeln an - mit jenem seltsamen Lächeln, das er stets hatte, wenn er mit ihr oder Erlend sprach. Es war frech und spöttisch, und trotzdem lag doch Güte und eine Art Achtung vor ihr in seinem Wesen. Es dünkte sie auch, sie habe nicht das Recht, gekränkt zu sein, wenn Ulv sich ein vertraulicheres Wesen ihr gegenüber herausnahm, als es sich vielleicht ziemte. Sie selbst und Erlend hatten diesen Mann Mitwisser ihres zuchtlosen und unredlichen Betragens werden lassen; und nun begriff sie, daß er wußte, wie es um sie stand. Das mußte sie nun ertragen - sie sah ja auch, wie Erlend sich in alles fand, was immer Ulv sagte oder tat, und sehr viel Ehrfurcht erwies der Mann seinem Herrn nicht. Aber sie waren von Kindheit an Freunde gewesen; Ulv war von Möre draußen, der Sohn eines Kleinbauern, der in der Nähe von Baard Peterssohns Hof wohnte. Er sagte du zu Erlend und jetzt auch zu ihr - aber hier im Norden war es überhaupt mehr Sitte, du zueinander zu sagen, als daheim in ihrem Tal.
    Ulv Haldorssohn war ein recht stattlicher Mann, groß und dunkel, mit schönen Augen, aber sein Mund war häßlich und roh. Kristin hatte von den Mägden auf dem Hof schlimme Dinge über ihn gehört; wenn er in der Stadt war, trank er fürchterlich, lärmte und stürmte in die Häuser, die bei Gjeilene lagen, aber wenn er daheim auf Husaby war, dann war er es, an dem man die meiste Stütze hatte, der Tüchtigste, der Arbeitsamste und der Klügste. Kristin mochte ihn jetzt gut leiden.
    „Es wäre wohl für keine Frau leicht, auf diesen Hof zu kommen - nach allem, was hier gewesen ist“, sagte er wieder. „Trotzdem glaube ich, Frau Kristin, du wirst deine Sache besser machen, als es den meisten anderen Frauen möglich wäre. Du bist ja auch keine von denen, die sich hinsetzen und jammern und seufzen, sondern du denkst daran, wie du das Erbe für deine Nachkommen retten kannst, wenn kein anderer dafür sorgt. Und das weißt du wohl, daß du auf mich vertrauen kannst, ich will dir helfen, soviel in meinen Kräften steht. Du darfst dabei nicht vergessen, daß ich nicht gewohnt bin, mit Bauernarbeit zu tun zu haben. Aber wenn du mich um Rat fragen willst und ich mich mit dir besprechen darf, so wird dieser Winter schließlich ganz gut vorübergehen.“
    Kristin dankte Ulv und ging ins Haus.
    Ihr war schwer ums Herz vor Angst und Unruhe, aber sie versuchte sich davon loszureißen. Es bedrückte sie, daß sie sich nicht auf Erlend verstand - immer noch schien er nichts zu ahnen. Noch eines aber gab es, und das war das Schlimmere: sie spürte kein Leben in dem Kind, das sie trug. Mit zwanzig Wochen sollte es sich rühren, das wußte sie - jetzt waren schon drei Wochen über diese Zeit verstrichen. Des Nachts lag sie da und fühlte diese Bürde, die wuchs und schwerer wurde und doch weiterhin gleich dumpf und leblos blieb. Und alles, was sie je über Kinder gehört hatte, die lahm, mit steifen Sehnen oder ohne Gliedmaßen ans Licht der Welt gekommen waren -Geschöpfe, die kaum eine menschliche Gestalt hatten, all das schwebte ihr nun vor. An ihren geschlossenen Augen zogen Bilder von kleinen zarten Kindern vorüber, grauenhaft entstellt; das eine Schreckbild verschmolz in ein noch schlimmeres. Südlich im Tal daheim, auf Lidstad, hatten sie ein Kind - ja, es war jetzt wohl erwachsen. Ihr Vater hatte es gesehen, aber er wollte nie davon reden; sie hatte bemerkt, wie arg es ihm war, wenn jemand davon sprach. Wie es wohl aussehen mochte?
    O nein, heiliger Olav, bitte für mich! Sie mußte fest an die Gnade des heiligen Königs glauben, sie hatte doch ihr Kind in seine Obhut gegeben, geduldig wollte sie für ihre Sünden leiden und sich mit ganzer Seele an der Hilfe und Gnade für das Kind trösten. Der böse Feind selbst mußte es sein, der sie mit diesen häßlichen Bildern in Versuchung führte, um sie in die Verzweiflung zu locken. Aber in den Nächten war es schwer. Wenn ein Kind keine Gliedmaßen hatte, wenn es lahm war, dann konnte die Mutter wohl auch kein Lebenszeichen spüren. Erlend merkte im Halbschlaf, daß sein Weib unruhig dalag, er nahm sie fester in seinen Arm und

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