Kristin Lavranstochter 1
ein Bild, wie er Geldbeutel vor die Tür jenes Hauses legte, in dem drei Jungfrauen wohnten, die so arm waren, daß sie keinen Mann bekommen konnten. Sie sah, wie er das Kind des römischen Ritters heilte, und sie sah den Ritter in einem Boot dahinfahren, den falschen Goldkelch in den Händen. Er hatte dem heiligen Bischof zum Lohn für die Heilung seines Kindes einen goldenen Kelch versprochen-, der tausend Jahre seinem Geschlecht gehört hatte. Aber nun wollte er Sankt Nikolaus betrügen und ihm statt dessen einen falschen goldenen Kelch geben; deshalb fiel der Knabe mit dem richtigen goldenen Becher in der Hand ins Meer. Aber Sankt Nikolaus führte das Kind unbeschadet unter dem Wasser hindurch, und es kam am Strand heraus, als der Vater in der Kirche des heiligen Nikolaus war und das falsche Gefäß opferte; also stand es da auf dem Bilde mit Gold und mit den schönsten Farben gezeichnet.
Auf einer anderen Tafel saß die Jungfrau Maria mit dem
Christuskind auf den Knien; es griff der Mutter mit der einen Hand unter das Kinn und hielt in der anderen einen Apfel. Bei ihnen standen Sankta Sunniva und Sankta Kristina. Sie bogen sich anmutig in den Hüften, waren lieblich rot und weiß im Gesicht und hatten Goldhaar und goldene Kronen.
Bruder Edvin stützte sein rechtes Handgelenk mit der linken Hand und zeichnete Laub und Rosen in die Kronen hinein.
„Mich dünkt, der Drache ist sehr klein“, sagte Kristin und betrachtete das Bild ihrer Namensheiligen. „Es hat nicht den Anschein, als könne er die Jungfrau verschlingen.“
„Das konnte er auch nicht“, sagte Bruder Edvin. „Er war nicht größer. Drachen und alles, was dem Teufel dient, scheint uns nur so lange groß, wie die Furcht in uns selbst wohnt. Aber wenn ein Mensch so heftig und so mit ganzem Verlangen Gott sucht, daß er in seine Kraft eindringt, da erleidet die Kraft des Teufels gleich so große Einbuße, daß seine Werkzeuge klein und machtlos werden - Drachen und böse Geister sinken zusammen und sind nicht mächtiger als kleine Kobolde und Katzen und Krähen. Du siehst, der ganze Berg, in dem Sankta Sunniva war, ist nicht größer, als daß sie ihn in ihrem Rockschoß wegtragen könnte.“
„Aber waren sie denn nicht in den Höhlen drinnen“, fragte Kristin, „Sankta Sunniva und ihr Gefolge? Ist denn das nicht wahr?“
Der Mönch nickte ihr zu und lächelte wieder.
„Es ist wahr und auch nicht wahr. Jenen Menschen, die die heiligen Glieder fanden, schien es so. Und es ist wahr, daß es Sunniva und den heiligen Männern so schien, denn sie waren demütig und dachten nur daran, daß die Verlockungen der Welt stärker seien als die sündigen Menschen, und sie dachten nicht daran, daß sie, weil sie der Welt nicht anhingen, stärker waren als diese. Aber hätten sie es selbst gewußt, dann hätten sie alle Berge nehmen und wie kleine Steine ins Meer werfen können. Niemand und nichts kann uns schaden, Kind, außer dem, was wir fürchten und lieben.“
„Aber wenn ein Mensch Gott nicht fürchtet oder liebt?“ fragte Kristin entsetzt.
Der Mönch legte die Hand auf ihr goldenes Haar, bog ihren Kopf sanft zurück und blickte ihr ins Gesicht; seine Augen waren weit offen und blau.
„Es gibt keinen Menschen, Kristin, der Gott nicht liebt und fürchtet, weil aber unsere Herzen geteilt sind zwischen der Liebe zu Gott und der Furcht vor dem Teufel und der Liebe zu der Welt und dem Fleische, darum werden wir elendig im Leben und im Tode. Denn wenn ein Mensch gar keine Sehnsucht nach Gott und Gottes Wesen empfände, da würde er in der Hölle sich wohl befinden, und nur allein wir dürfen es nicht erfassen, daß er es dort so hat, wie sein Herz es wünscht. Aber das Feuer würde ihn nicht brennen, da er sich nicht nach Kühle sehnte, und er würde den Biß der Schlange nicht fühlen, weil er die Sehnsucht nach Frieden nicht kennen würde.“
Kristin sah zu seinem Gesicht empor; sie verstand nichts von alledem. Bruder Edvin fuhr fort:
„Gott in seiner Barmherzigkeit sah, wie unsere Herzen zerrissen waren, und stieg zu uns herab und wohnte unter uns, um die Versuchung des Teufels im Fleische zu fühlen, wenn uns dieser mit Macht und Herrlichkeit und den Drohungen der Welt verlockt, uns in Wirklichkeit aber Schläge und Hohn und scharfe Nagelwunden in unsern Händen und Füßen bietet. So zeigte er uns den Weg und ließ uns seine Liebe erkennen.“
Er blickte in das starrernste Gesicht des Kindes - da lachte er ein wenig und sagte mit ganz
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