Kristin Lavranstochter 1
hinein.
Kristin stand weiß und starr oben auf dem Balkenstoß; die kleinen Knaben klammerten sich weinend an sie. Alle Leute des Hofes waren jetzt auf dem Platz zusammengeströmt, die Frauen weinten und jammerten. Aber Lavrans befahl, man solle ihm Guldsvein und noch ein Pferd satteln; doch als Arne mit den Pferden kam, brach Lavrans zusammen in dem Augenblick, da er in den Sattel steigen wollte. Da befahl er Arne, den Priester zu holen, während Halvdan talabwärts ritt zu einer weisen Frau, die unten am Fluß wohnte.
Kristin sah das gramweiße Gesicht des Vaters, sah, daß er geblutet hatte und sein hellblaues Gewand über und über mit rotbraunen Flecken bedeckt war. Plötzlich richtete er sich auf, riß einem der Männer eine Axt aus der Hand, ging auf den Stier zu, den einige der Leute noch festhielten. Er trieb dem Tier die Axt zwischen die Hörner, so daß es in die Knie brach, aber Lavrans hieb noch weiter darauf ein, bis Blut und Gehirn herausspritzten. Dann packte ihn ein Hustenanfall, und er sank hintenüber zu Boden. Trond und noch ein Mann mußten ihn hineintragen.
Da glaubte Kristin, ihr Vater sei tot; sie stieß einen lauten Schrei aus und lief hinter ihnen drein.
Drinnen in der Winterstube hatte man Ulvhild in das Bett der Eltern gelegt; alle Kissen waren auf den Boden geworfen worden, so daß das Kind ganz flach lag. Es sah aus, als liege es schon auf dem Totenbett. Aber es jammerte laut und unaufhörlich, und die Mutter, darübergebeugt, beruhigte und streichelte es, wild vor Kummer, weil sie nicht helfen konnte.
Lavrans lag auf dem anderen Bett, er erhob sich und taumelte durch die Stube, um seine Frau zu trösten. Da fuhr sie auf und schrie:
„Rühr mich nicht an, rühr mich nicht an. Jesus, Jesus! Ich wäre wert, daß du mich totschlügest - das Unglück, das ich über dich bringe, nimmt kein Ende...“
„Hast du ... Mein liebes Weib, das hast doch du nicht über uns gebracht“, sagte Lavrans und legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie erbebte bei der Berührung, und ihre hellgrauen Augen schimmerten in dem mageren bräunlichen Gesicht.
„Sie meint wohl, daß ich daran schuld bin“, sagte Trond Ivarssohn rauh. Die Schwester blickte ihn haßerfüllt an und erwiderte :
„Trond weiß, was ich meine.“
Kristin lief zu den Eltern hin, aber sie schoben sie beide von sich. Und Tordis, die mit einem Kessel heißen Wassers kam, berührte sie leise an der Schulter und sagte:
„Geh in unsere Stube, Kristin; du bist hier im Wege.“
Sie wollte für Lavrans sorgen, der sich auf die Bettstufe gesetzt hatte, doch er sagte, mit ihm sei es nicht gefährlich.
„Aber könnt ihr nicht Ulvhilds Qualen ein wenig mildern -Gott steh uns bei, sie jammert, daß es den Stein im Felsen erbarmen könnte.“
„Wir wagen nicht, sie anzurühren, ehe der Priester oder Ingegjerd, die weise Frau, gekommen ist“, sagte Tordis.
In diesem Augenblick kam Arne herein und meldete, daß Sira Eirik nicht daheim sei. Ragnfrid stand da und preßte die Hände zusammen. Dann sagte sie:
„Sende einen Boten zu Frau Aashild auf Haugen. Mag es jetzt gehen, wie es will, wenn nur Ulvhild gerettet wird.“
Niemand gab acht auf Kristin. Sie kroch auf die Bank hinter dem Kopfende des Bettes, zog die Beine unter sich und legte den Kopf auf das Knie.
Es war, als würde ihr Herz von harten Händen zusammengedrückt. Frau Aashild sollte geholt werden! Die Mutter hatte Frau Aashild nie holen lassen wollen, auch nicht, als sie bei Ulvhilds Geburt dem Tode nahe war, und nicht, als Kristin damals vor Fieber so krank war. Sie sei eine Zauberin, sagten die Leute -der Bischof von Oslo und das Domkapitel hatten über sie zu
Gericht gesessen; man hätte sie hingerichtet oder verbrannt, wäre sie nicht von so hoher Geburt gewesen, daß sie gleichsam für eine Schwester der Königin Ingebjörg angesehen wurde. -Die Leute sagten, sie habe ihrem ersten Mann Giff gegeben, und den, den sie jetzt habe, Herrn Björn, habe sie an sich gehext; er sei jung genug, ihr Sohn zu sein. Sie hatte auch Kinder, aber die kümmerten sich nie um die Mutter, und diese beiden hochgeborenen Menschen, Björn und Aashild, lebten auf einem kleinen Hof in Dovre, den ein einzelner Mann betreiben konnte, und hatten alle ihre Reichtümer verloren. Niemand von den großen Sippen im Tale wollte mit ihnen zu tun haben, aber im geheimen holte sich das Volk bei Frau Aashild Rat, ja arme Leute gingen offen mit ihren Sorgen und Nöten zu ihr; sie sagten, sie sei
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