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Kristin Lavranstochter 1

Titel: Kristin Lavranstochter 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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fragte er erstaunt.
    Er bot Kristin die Hand, als sie sich anschickten, ins Wohnhaus zu gehen.
    Um ihre Verlegenheit zu verbergen, hielt sich Kristin zwischen den dienenden Frauen und sah beim Decken des Tisches nach dem Rechten. Sie bot Erlends gelehrtem Bruder den Platz
    im Hochsitz an, als sie aber dort nicht neben ihm sitzen wollte, setzte er sich unten auf die Bank neben sie.
    Nun, da Meister Gunnulv an ihrer Seite Platz genommen hatte, schien er mindestens einen halben Kopf kleiner zu sein als Erlend; er wirkte aber kräftiger. Er war stärker und gedrungener in Bau und Gliedmaßen, und seine breiten Schultern waren vollkommen gerade. Erlends Schultern hingen ein wenig herab. Gunnulv war dunkel gekleidet, sehr geziemend für einen Priester, aber das bis auf die Füße reichende Gewand, das am Hals oben fast bis an den Kragen des Leinenhemdes ging, war mit emaillierten Knöpfen geschlossen, und an dem gewebten Gürtel hing sein Eßbesteck in einer silbernen Scheide.
    Verstohlen blickte sie zu dem Gesicht des Geistlichen auf. Er hatte einen runden, starken Kopf und ein mageres, rundes Gesicht mit breiter, niederer Stirn, ein wenig große Backenknochen und ein feingerundetes Kinn. Die Nase war gerade und die Ohren klein und hübsch, aber sein Mund war lang und schmal, und die Oberlippe ragte ein ganz klein wenig hervor und beschattete den kleinen roten Tropfen der Unterlippe. Nur das Haar glich dem Erlends: der dichte Kranz um die Tonsur des Priesters war schwarz, zeigte den trockenen Glanz von Ruß und sah ebenso seidenweich aus wie Erlends Haarschopf. Im übrigen war er seinem Geschwisterkind Munan Baardssohn nicht unähnlich; nun konnte sie begreifen, daß Munan in seiner Jugend wirklich einmal hübsch gewesen sein sollte. Nein, er glich Aashild, der Muhme; jetzt sah sie, daß er die gleichen Augen hatte wie Frau Aashild: bernsteingelb und leuchtend unter schmalen und geraden schwarzen Brauen.
    Anfangs empfand Kristin einige Scheu vor diesem Schwager, der an den großen Schulen in Paris und im Welschland in so vielen Wissenschaften ausgebildet worden war, aber nach und nach vergaß sie ihre Verlegenheit. Es fiel so leicht, mit Gunnulv zu reden. Er schien gleichsam nicht über sich selbst zu sprechen - am allerwenigsten wollte er mit seiner Weisheit prahlen. Aber bis Kristin sich ein wenig gefaßt hatte, hatte er schon so viel erzählt, daß es ihr schien, sie habe nie zuvor geahnt, eine wie große Welt es außerhalb Norwegens gab. Sie vergaß sich selbst und all das Ihre, während sie dasaß und in das runde, knochige Gesicht des Priesters mit dem frischen und feinen Lächeln aufblickte. Er hatte unter dem Gewand den Fuß auf das andere Knie gelegt und hielt den Knöchel mit den weißen, kräftigen Händen umschlossen.
    Als er im Lauf des Nachmittags zu ihr in die Stube trat, fragte er, ob sie mit ihm ein Brettspiel spielen wolle. Kristin mußte gestehen, daß im Hause wohl kaum ein Brettspiel zu finden sei.
    „Nicht?“ fragte der Priester erstaunt. Er trat zu Ulv.
    „Weißt du, Ulv, was Erlend mit dem goldenen Brettspiel der Mutter gemacht hat? Was ist aus den Spielsachen geworden, die sie zurückgelassen hat - er wird sie doch wohl nicht jemand anderem gegeben haben?“
    „Sie sind in einem Schrein oben in der Waffenkammer“, sagte Ulv. „Es war ihm wohl weit eher darum zu tun, daß niemand anders sie bekommen sollte - von denen, die früher hier auf dem Hof waren“, murmelte der Mann leise. „Willst du, daß ich den Schrein hole, Gunnulv?“
    „Ja, Erlend kann doch wohl nichts dagegen haben“, meinte der Priester.
    Bald darauf kamen die beiden mit einem großen geschnitzten Schrein zurück. Der Schlüssel steckte, und Gunnulv schloß auf. Zuoberst lagen ein Langleik* und ein anderes Saitenspiel, desgleichen Kristin noch nie gesehen hatte. Gunnulv nannte es Psalterium; er ließ die Finger über die Stränge gleiten, aber sie waren völlig verstimmt. Rollen aus Band, Seidenknäuel, verzierte Handschuhe und seidene Kopftücher und drei Bücher mit Spangen lagen in dem Schrein. Zum Schluß fand der Priester das Brettspiel; es hatte weiße und vergoldete Felder, und die Figuren waren aus Walbein, weiß und golden.
    Erst jetzt kam Kristin der Gedanke, daß sie, solange sie hier auf Husaby war, nicht ein einziges Mal etwas von jenen Dingen gesehen hatte, die den Leuten zum Zeitvertreib dienen konnten.
    Kristin mußte nun ihrem Schwager gestehen, daß sie ungeschickt im Brettspiel sei und auch in der

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