Kristin Lavranstochter 1
ihrer Gemeinde zu erzählen. Und noch ehe Kristin es sich bewußt war, hatte sich auch ihr selbst die Zunge gelöst - sie redete von ihrem Heim und von ihren Eltern und ihrem Tal. Audfinna begriff, daß das Herz der jungen Frau vor Heimweh beinahe zu brechen drohte
- da ermunterte sie Kristin heimlich dazu, weiterzusprechen. Und heiß und verwirrt von dem starken Bier, sprach Kristin, bis sie zugleich weinte und lachte. Alles, was sie in den einsamen Abendstunden auf Husaby vergeblich vom Herzen
hatte schluchzen wollen, löste sich nun nach und nach in ihr, während sie dieser freundlichen Bäuerin erzählen durfte.
Es war ganz dunkel über dem Rauchloch, aber Audfinna wollte, Kristin solle warten, bis Öistein oder die Söhne vom Wald heimkehrten und sie heimbegleiten könnten. Kristin wurde nach und nach stiller und schläfriger, aber sie saß da und lächelte, mit glänzenden Augen - so wohl hatte sie sich, seit sie nach Husaby gekommen war, nicht mehr gefühlt.
Da riß ein Mann die Tür auf, rief in die Stube hinein, ob sie die Herrin gesehen hätten - wurde sie gewahr und fuhr wieder hinaus. Gleich darauf tauchte Erlends lange Gestalt im Türrahmen auf. Er legte die Axt weg, die er in der Hand hielt, sank rücklings gegen die Wand; er mußte mit den Händen stützend hinter sich greifen und konnte nicht reden.
„Du hast Angst um deine Frau gehabt?“ fragte Audfinna und trat auf ihn zu.
„Ja, ich schäme mich nicht, es zu sagen!“ Er fuhr sich durch das Haar. „Solche Angst wie ich heute abend hat gewiß noch nie ein Mann ausgestanden. Als ich hörte, daß sie in den Wald gegangen sei.“
Audfinna erzählte, wie Kristin hierhergekommen war. Erlend ergriff die Hand der Bäuerin.
„Dieses werde ich dir nie vergessen, weder dir noch deinem Bauern“, sagte er.
Dann ging er zu seiner Frau, stellte sich an ihre Seite und legte eine Hand um ihren Nacken. Er sprach nicht ein Wort zu ihr, aber er blieb so stehen, solange sie in der Stube waren.
Jetzt kamen die Leute von Husaby und die Männer von den nächsten Höfen herein. Sie alle sahen aus, als könnten sie eine Herzstärkung brauchen, und Audfinna bot ihnen Bier zum Trunk, ehe sie weggingen.
Die Männer glitten auf ihren Schneeschuhen über die Äcker hin, Erlend aber hatte die seinen einem Knecht gegeben; er ging neben Kristin und geleitete sie, unter seinem Umhang sie umfassend, den Hang hinunter. Es war jetzt ganz dunkel und sternenklar.
Da kam aus dem Wald hinter ihnen ein langgezogenes Heulen, das in der Nacht immer mehr und mehr anwuchs. Es waren Wölfe - viele.
Erlend blieb bebend stehen, ließ Kristin los, und sie fühlte, wie er das Zeichen des Kreuzes machte, während er die andere
Hand um die Axt krampfte. „Wärst du jetzt - o nein!“ Er zog sie so hart an sich, daß sie leise jammerte.
Die übrigen Männer machten sofort kehrt und strebten, so rasch sie konnten, zu den beiden zurück. Sie warfen die Schneeschuhe über die Schultern und schlossen einen engen Kreis von Speeren und Äxten rings um Kristin. Die Wölfe folgten ihnen bis ganz nach Husaby - so nahe, daß die Leute dann und wann im Dunkel einen Schimmer von ihnen erspähten.
Als sie daheim in die Halle traten, waren viele der Männer grau und weiß im Gesicht. „Das war das Ärgste“, sagte einer, und zugleich mußte er sich an der Feuerstätte erbrechen. Die erschrockenen Mägde brachten die Hausfrau zu Bett. Essen konnte sie nichts. Aber jetzt, da die kranke entsetzliche Angst überstanden war, tat es ihr doch gewissermaßen gut, zu sehen, wie sich alle auf dem Hof um sie geängstigt hatten.
Als sie allein in der Halle waren, kam Erlend zu ihr und setzte sich auf den Bettrand.
„Warum hast du das getan?“ flüsterte er. Und da sie nicht antwortete, sagte er noch leiser: „Bist du so traurig darüber, daß du auf meinen Hof gekommen bist?“
Es währte eine Weile, ehe sie begriff, was er meinte.
„Jesus Maria! Wie kannst du so etwas denken!“
„Was meintest du, wie du - damals, als wir auf Medalby waren und ich von dir wegreiten wollte - sagtest, ich hätte lange warten können, ehe du mir nach Husaby nachgekommen wärst?“ fragte er wie vorher.
„Ach, ich redete im Zorn“, erwiderte Kristin leise und beschämt. Und jetzt erzählte sie ihm, weshalb sie in diesen Tagen weggegangen war. Erlend saß ganz still da und hörte ihr zu.
„Wann wird wohl der Tag kommen, an dem es dich dünkt, daß du hier bei mir auf Husaby daheim bist?“ sagte er und beugte
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